Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm
erkennen, die aber selbst für einen Wurzelbalg zu schmal gewesen wären.
In dieser kurzen Entfernung tilgten die herabdonnernden Wassermassen endgültig jedes andere Geräusch, sodass eine Unterhaltung allenfalls schreiend hätte stattfinden können, weshalb Barat und Rai es lieber ganz unterließen. Auch wenn die Wurzelbälger vollkommen friedlich zu sein schienen, ein gewisser Respekt war sicherlich nicht fehl am Platz. Trotzdem konnte Rai es nicht lassen, einen vorsichtigen Blick in den Tunnel zu werfen, in dem der schmale Wassergraben verschwand. Die Sonne stand bereits knapp über der Kante der Felswand, die den Talkessel umgab, sodass ihre schrägen Strahlen bis tief in den Schacht hineinfielen. Irgendwo dort unten glaubte Rai unversehens, ein grünliches Glitzern wahrzunehmen. Er kniff die Augen zusammen und beugte sich ein wenig weiter vor, um mehr erkennen zu können. Das Funkeln hatte seine Diebesinstinkte geweckt. Unter normalen Umständen konnte er sich auf sein geschultes Gaunerauge stets verlassen, wenn es sich um das Ausspähen von Wertgegenständen handelte. Und eben jener höchst zuverlässige Sinn hatte ihm soeben ein Bild übermittelt, das ihn zwingend an das unvergleichliche Spiel des Lichts auf den Facetten eines Edelsteins denken ließ. Vielleicht war jener grünliche Widerschein gar das Glitzern eines Smaragds? Unwillkürlich streckte er seinen Kopf tiefer in die Höhlung, um noch einmal dieses verheißungsvolle Glimmen in der Tiefe wahrzunehmen.
Vollkommen unerwartet packte ihn jemand an der Schulter. Erschrocken richtete er sich auf, vergaß dabei allerdings, wie glitschig der Boden entlang dem Wassergraben war. Sein linker Fuß rutschte weg, er verlor das Gleichgewicht und verschwand mit einem ungehörten Schrei im Dunkel des Tunnels.
Zurück blieb ein überraschter Barat, der Rai eigentlich mit dem Schulterklopfen darauf aufmerksam hatte machen wollen, dass er nicht tiefer in den Schacht vordringen sollte. Nun stand er allein zwischen den fremden Kreaturen, die den Eindringlingen noch immer keinerlei Aufmerksamkeit schenkten. Unschlüssig starrte der alte Soldat seinem unachtsamen Begleiter nach, den das Erdloch unwiederbringlich verschluckt hatte. Einige Male versuchte er, Rai zu rufen, doch das Getöse des Wassers ließ keinen anderen Laut neben sich bestehen. Als ihm nach einer Weile keine bessere Alternative einfallen wollte, nahm er sich ein Herz, umklammerte seinen Fischspeer und schlitterte, einen lautlosen Fluch auf den Lippen, hinter Rai her in die ungewisse Tiefe des Hügels.
Sein Fall endete nach wenigen Augenblicken abrupt, aber erstaunlich sanft. Er war bäuchlings auf dem immer noch am Boden kauernden Rai gelandet, der seinem Stöhnen nach zu urteilen Barats Aufprall als weit weniger harmlos empfunden hatte. Barats selbst gefertigter Speer wurde ihm allerdings bei dem Sturz aus der Hand geschlagen und verschwand irgendwo zwischen den Schattenflecken am Höhlenboden. Hier unten war das Rauschen des Wasserfalls auf ein dumpfes Murmeln reduziert, stattdessen ließ sich der kleine Bach, der die Holzspäne von der Oberfläche herabspülte, mit sanftem Gluckern vernehmen. Die warme, mit Feuchtigkeit gesättigte Höhlenluft schien nur widerstrebend in die Lungen strömen zu wollen. Es roch nach faulendem Holz. Als Barat schwerfällig versuchte, sich aufzurappeln, wurde er von Rai daran gehindert:
»Die Decke ist hier verdammt niedrig!«, meinte Rai, während er nach oben deutete.
»Was hast du dir bloß dabei gedacht, in dieses Loch zu fallen?«, fuhr Barat ihn an.
»Hättest du mich nicht erschreckt, wären wir beide noch oben!«, entgegnete Rai abwesend. Sein Blick war nach vorn gerichtet, und seine Augen glänzten in fassungslosem Staunen. »Schau dir das an«, sagte er ehrfürchtig.
Mehrere kleine Öffnungen in der Decke gewährten einigen Strahlen der tief stehenden Sonne Einlass in diese Unterwelt, was den beiden Dieben zumindest eine ungefähre Ahnung von dem Ausmaß der unterirdischen Kavernen vermittelte. Die Höhle war mit Sicherheit doppelt so groß wie der Tileter Marktplatz, wobei sich das gegenüberliegende Ende in der Dunkelheit verlor. In gleichmäßigen Abständen wurde die nur etwa anderthalb Schritt hohe Decke von Säulen getragen, die sich nach oben und unten bogenförmig verbreiterten. Offensichtlich waren diese Stützen beim Anlegen der Höhlen aus dem Untergrund herausgearbeitet worden. Den Boden bildete ein trüber See, in dem wohl auch Barats Speer
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