Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm
unwiederbringlich verschwunden war. Eine Fortbewegung trockenen Fußes schien nur auf schmalen Vorsprüngen entlang den Wänden möglich. Gespeist wurde diese ausgedehnte Wasserfläche lediglich von dem schmalen Bachlauf, der auch seine Fracht aus zerkleinertem Holz hier ablud. Die Späne bedeckten die Wasseroberfläche wie eine weiße Haut, indes bildeten sie anscheinend nur die Grundlage für das eigentliche Wunder dieser Kaverne. Dort, wo die einsamen Sonnenstrahlen ihre Lichtkegel auf den Höhlenboden warfen, konnte man erkennen, dass die helle Deckschicht überzogen war von Myriaden feiner Härchen, die mit zunehmender Entfernung vom Mündungsbereich des Zuflusses einen stetig dichter werdenden smaragdgrünen Teppich bildeten. Kleine Wassertropfen hingen gefangen in diesem samtenen Überzug und glitzerten im Sonnenlicht wie die Splitter eines Edelsteins.
»Als hätte hier jemand ein Feld mit Smaragden angelegt«, flüsterte Rai.
»Das ist …« Barat suchte nach Worten, fand aber keine. Also schwieg er.
In diesem Moment zog sich die Sonne endgültig hinter die umgrenzende Felsenbarriere des Tals zurück und raubte damit den funkelnden Wasserfeldern ihren Zauber. Barat und Rai blieben im Dunkeln zurück.
»So, und was machen wir jetzt, mein neugieriger junger Freund? Den glitschigen Schacht wieder hinaufzuklettern, brauchen wir gar nicht erst zu versuchen. Da würde ich wahrscheinlich nicht mal mit einem Seil wieder hochkommen.« Barat wischte energisch über seine schlammbesudelte Kleidung. »Stattdessen müssen wir einen anderen Ausgang finden, und das auch noch ohne Tageslicht!« Er klang ungehalten.
»Das ist fast wie in der Tileter Kanalisation, nur riecht es hier besser«, antwortete Rai fröhlich. »Aber wir können ohnehin nur an dieser Wand entlang geradeaus gehen, falls du dir keine nassen Füße holen willst. Also ist es vorerst gar nicht möglich, dass wir uns verirren!«
Barat kommentierte diese Aussage nur mit einem unwilligen Brummen, folgte seinem jüngeren Gefährten aber dennoch, als dieser anfing, sich an der Seitenwand der Kaverne entlangzutasten. Tatsächlich gewöhnten sich ihre Augen auch bereits an das Halbdunkel, denn selbst ohne die Strahlen der Sonne drang noch genügend Licht durch die Deckenspalten in die Höhle, damit sie zumindest ihre nähere Umgebung vage ausmachen konnten.
Nachdem sie auf diese Weise behutsam mehrere Hundert Schritt zurückgelegt hatten, begannen beide sich ernstlich Sorgen über die Größe dieser feuchten Unterwelt zu machen. Als angesichts der schier endlosen Säulenreihen bereits ein leichtes Panikgefühl durch ihre Magenwinkel zu kriechen begann, nahm die Sichtweite langsam wieder zu, und bald schon konnten die beiden erleichtert einen großen Lichtkreis ausmachen, der das andere Ende der unterirdischen Halle kennzeichnete. Ganz offensichtlich hatten sie einen Ausgang aus diesem riesigen Verlies gefunden. Zu ihrer Überraschung tummelten sich dort aber eine Vielzahl der gleichen gnomenartigen Gestalten, die sie an der Oberfläche bei der Holzbearbeitung beobachtet hatten. In einem endlosen Strom drängten sie von draußen in die Höhle, passierten einen ovalen Platz, der aufgrund seiner erhöhten Lage nicht von Wasser bedeckt war, und verschwanden in einem weiteren breiten Tunnel, welcher noch tiefer unter die Erde führte. Wo der erhöhte Eingangsbereich in den See überging, waren einige Arbeiter damit beschäftigt, den grellgrünen Bewuchs, der am diesseitigen Ende des Sees seine größte Dichte zu erreichen schien, von der Wasseroberfläche abzuheben. Die Holzspäne, die noch im hinteren Teil der Höhle eine lückenlose Schicht unterhalb des fasrigen Grüns gebildet hatten, waren in diesem Bereich des Beckens nicht mehr zu erkennen. Die verfilzten, triefenden Matten des Gewächses, die die Pflücker klatschend aufs Trockene beförderten, wurden ohne Verzögerung von weiteren Arbeitern abgeholt, die damit in dem abwärtsführenden Gang verschwanden.
Mit einem Mal stellte diese Gruppe ihre Tätigkeit ein, um sich ebenfalls der großen Masse anzuschließen, welche in die tiefer gelegenen Höhlenteile unterwegs war. Die vorbeieilenden, endlos scheinenden Reihen von Wurzelbälgern führten den beiden staunenden Beobachtern wiederum vor Augen, wie viele Köpfe dieses wundersame Volk zählte. Barats vorsichtiger Schätzung zufolge mussten es mindestens tausend sein, Rais Vermutung lag weit jenseits davon. Zudem konnte keiner wissen, wie viele der
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