Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm
nach links in eine kleine Gasse ein, in der er schneller vorankam, und erreichte durch einige Hinterhöfe schließlich ein kleines hölzernes Tor in einer dicken, übermannshohen Steinmauer. Eilig kramte er einen großen, eisernen Schlüssel aus einem Lederbeutel hervor und öffnete die Tür. Hinter der Mauer lag der sonnige, im rückwärtigen Teil mit großen Bäumen bestandene Garten der Kriegerschule Ecorim. Arton fühlte sich jedes Mal, wenn er diesen friedlichen Ort betrat, als käme er auf eine abgelegene Insel im Getümmel der Stadt.
Tatsächlich wirkte die Kriegerschule, die südwestlich des Hafens vor fast hundert Jahren im Auftrag Melessens erbaut worden war, erstaunlich abgeschieden von der Welt vor ihren Toren. Dies war hauptsächlich auf die beeindruckende Größe des Gartens zurückzuführen, dessen Kernstück ein zweistöckiges, erhabenes Bauwerk aus einer vergangenen Zeit bildete, das wie kein anderes Gebäude der Stadt noch an die einstige Macht der Könige in diesem Land erinnerte. Trotz des moosigen, verwitterten Dachs war vor allem an den verblassenden Wandmalereien neben dem Eingang und an den Stirnwänden der beiden Seitenflügel der frühere Prunk noch gut zu erkennen. Vom Eingang des Hauses führte ein breiter, geschotterter Weg zu dem eisernen Haupttor der Mauer, die mit einem kleineren Wachturm an jeder Ecke und einem schmalen Wehrgang dazwischen beinahe zu einer Festung zu gehören schien. Links und rechts neben diesem Weg dienten baumlose Rasenflächen den auszubildenden Kriegern in den wärmeren Monaten des Jahres als Kampf- und Übungsplatz. Arton liebte diese Schule mehr als irgendeinen Menschen, und ein Großteil seiner Bemühungen war auf die Wiederherstellung ihrer alten Bedeutung gerichtet.
Nach den spärlichen Informationen, die Arton besaß, war der frühere Ruhm der Kriegerschule mit dem Königsgeschlecht der Leonmar vor mehr als dreißig Jahren vergangen. Fendland, das unter Melessen Leonmar zu einem eigenständigen Königreich aufgestiegen war, hatte schon bald nach dem Tod des großen Helden seine mühsam erkämpfte Unabhängigkeit wieder aufgeben müssen. Nachdem es zunächst von dem aufstrebenden südlichen Reich Citheon zu einem teilweise selbstverwalteten Protektorat erklärt worden war, ließ sich zu Beginn von Citheons Krieg gegen den Norden schließlich nicht mehr verhindern, dass die Halbinsel wegen ihrer großen strategischen Bedeutung dem citheonischen Herrschaftsgebiet einverleibt wurde. Die Nachkommen Melessens waren gezwungen abzudanken, ihr Thron fiel an den König von Citheon. Die von Melessen eingeführten Stadträte blieben zwar erhalten, aber von nun an oblag ihre Leitung dem Herrscher des Südens, der damit eine fast vollständige Kontrolle über alle Entscheidungen der fendländischen Städte ausüben konnte. Der ehemaligen Königsfamilie blieb nur noch die von Melessen gegründete Kriegerschule, die in den vergangenen Jahrzehnten vor allem aufgrund der vollendeten Fechtmeister aus dem Geschlecht der Leonmar in den ganzen Ostlanden Berühmtheit erlangt hatte.
Als schließlich Citheon, nach einer endlosen Zahl von blutigen Schlachten, den anstürmenden Heeren von Skardoskoin nichts mehr entgegensetzen konnte, fielen seine Nordprovinzen an den Sieger. Fendland, ebenso wie die Fürstentümer Nord- und Südantheon, wurde durch Skardoskoiner Regimenter besetzt. Da die Halbinsel sich bisher neutral verhalten hatte, fiel die folgende Bestrafung durch Skardoskoin verhältnismäßig milde aus. Während Antheon bis auf die letzte Münze geplündert wurde, führte man in den Städten Fendlands nur eine so genannte Säuberung durch. Dabei wurden alle königstreuen Bürger sowie jeder, bei dem die Gefahr bestand, er könne einmal zum Kern eines Aufstandes werden, kurzerhand hingerichtet. Diesem Vorgehen fiel auch die gesamte königliche Familie Leonmar zum Opfer. Ihre Beliebtheit beim Volk und die direkte Verwandtschaft zu dem berühmten Melessen wurde ihnen zum Verhängnis. Noch heute erzählte man sich auf der Halbinsel die tragische Geschichte von Dalian Leonmar, dem ehemaligen König Fendlands und damaligen Leiter der Kriegerschule, der in der Nacht vor seiner Hinrichtung von einigen Getreuen aus seinem Verließ befreit werden sollte, sich aber aus Gründen der Ehre gegen eine Flucht entschied. Auch Arton liebte diese Geschichte, denn auch er war bereit, für die Ehre der Schule und seiner Familie zu sterben, falls es nötig sein sollte.
Nach der Besetzung durch
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