Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm
mehr der geringste Zweifel, dass es sich um die gesuchte Waffe handelte, nachdem der Kommandant den dunklen Stahl genauer in Augenschein genommen hatte. Gerade das Fehlen von charakteristischen Merkmalen, mit Ausnahme der Farbe, machte die Klinge absolut unverwechselbar. Es gab keine Verzierungen, keine Rillen oder Scharten, nur glattes schwarzes Metall. Solch ein Schwert konnte es nicht zweimal geben.
Der Offizier hatte ausgesagt, er habe die Waffe von einem Hundeführer eines Sklavenschiffs gekauft, welcher sie wohl einem der Sklaven abgenommen hatte, der ins Bergwerk gebracht worden war. Nachdem Garlan endlich den Sklavenjäger Ferrag in einer Spelunke am Hafen ausfindig gemacht und dieser den Vorbesitzer des Schwertes als einen drahtigen kleinen Bastard beschrieben hatte, war der Kommandant zu der Überzeugung gelangt, dass der Dieb des schwarzen Schwertes durch eine höchst eigentümliche Fügung des Schicksals nunmehr als Sklave in den Minen von Andobras sein Dasein fristete. Es hatte sich allerdings als unmöglich erwiesen, seine Gardisten dazu zu bewegen, in das Bergwerk hinabzusteigen und nach dem kleinen Einbrecher zu suchen. Die Antwort, welche er auf einen solchen Befehl erhalten hatte, war immer die gleiche gewesen: Es sei zu gefährlich, sich in die Stollen abzuseilen, da sie einsturzgefährdet wären. Wie die Wachen dann aber die Ordnung im Bergwerk aufrechterhielten, wenn sie nicht einmal wagten, es zu betreten, hatte ihm keiner der Soldaten erklären können – ein weiterer unhaltbarer Zustand, den der König bestimmt nicht gutheißen würde, wenn Garlan ihm davon berichtete. Schon morgen Mittag legte ein Schiff Richtung Süden ab, das den Kommandanten endlich wieder nach Tuet bringen würde. Er könnte seinem Herrn zwar nicht den frechen Palasträuber als Gefangenen präsentieren, das dunkle Schwert jedoch, welches dem König anscheinend so viel bedeutete, würde in einigen Tagen wieder auf einem Kissen in der Schatzkammer des Herrschers von Citheon ruhen. Und er selbst würde bald schon seinen hart verdienten Posten als Kommandant der Palastwache zurückerhalten.
Sorgsam schlug er die dunkle Klinge in ein weiches Leinentuch ein und legte sie neben seine Schlafstatt. Das erste Mal, seit er auf Andobras angekommen war, bettete sich Garlan Fedochin zufrieden auf seine Matratze aus modrigem Stroh. Morgen schon würde er diesem trostlosen Ort für immer den Rücken kehren, um sein altes Leben Stück für Stück von den launischen Göttern zurückzuerobern. Der morgige Tag versprach, bedeutsam zu werden.
WÄCHTER DES TEMPELS
N ebelfetzen hingen an diesem Morgen über der Festung Andobras, als hätten sich die grauen Schwaden bei ihrem Ritt auf einer sachten Meeresbrise an den scharfkantigen Zinnen und Türmen der Wehranlage verfangen. Die ersten Sonnenstrahlen tasteten sich vorsichtig die klobigen Mauern hinauf, vermochten dem dunklen Basalt jedoch keine Wärme zu verleihen. Wie ein aus dem Felsplateau gemeißelter Quader lag die Burg über der schäumenden See, so unbeugsam wie die Klippen, die seit Jahrhunderten der Brandung trotzten. Die Häuser der Stadt schienen sich vor diesem alles dominierenden Bollwerk ängstlich in den gegenüberliegenden Hang zu ducken, sodass sie im fahlen Licht des heraufziehenden Tages kaum vom Fels zu unterscheiden waren. Ein klammer Lufthauch wehte von der See über den terrassenartig ansteigenden Berg, in dessen Schoß und entlang seinen Flanken die Stadt errichtet worden war. Doch trotz der Kühle des Morgens erwachte das Leben bereits in den kleinen Behausungen, und auf den Straßen strebten die ersten Menschen, in dicke Umhänge gehüllt, dem Eingang der Festung entgegen, um dort im Cittempel den Sonnenaufgang zu preisen.
Arton setzte sich wortlos in Bewegung, gefolgt von Kawrin, Rai und fünf weiteren ehemaligen Minenarbeitern. Noch in der Nacht hatten sie sich in mehreren Gruppen in der Stadt verteilt, um sich am Morgen unauffällig unter die zum Tempel hinaufströmenden Einwohner mischen zu können. Trotz dieses vorsichtigen Auftretens blieb ihr Vorhaben gewagt, denn die kleine Hafenstadt Andobras zählte nicht mehr als sechs-, vielleicht siebenhundert Einwohner, und nicht jeder zollte dem Sonnengott allmorgendlich den gebührenden Respekt durch einen Tempelgang. Deshalb hatte Arton den befreiten Sklaven eingeschärft, sich nur in möglichst kleinen Gruppen auf den Weg zur Festung zu begeben, sodass die Wachen die ungewöhnlich große Zahl von
Weitere Kostenlose Bücher