Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm
Tempelbesuchern an diesem Morgen nicht bemerken würden. Das noch immer verschleierte Licht der Sonne, ebenso wie die gegen die morgendliche Kälte um Kopf und Schultern geschlungenen Decken aus dem Vorratslager des Wachturms machten es immerhin unwahrscheinlich, dass jemandem die vielen fremden Gesichter so früh am Tage auffallen würden.
Schweigsam folgten sie der Kaistraße vorbei am ausgestorbenen Hafen, um dann auf den steil ansteigenden Weg einzuschwenken, der beinahe schnurgerade auf einem schmalen Grat bis hinauf zur Festung führte. Dies stellte die einzige Verbindung des Burgplateaus mit der Hafenstadt dar. Zur Linken fiel der Grat steil zum Hafenbecken hin ab, zur Rechten war der massive Fels vom Ansturm des Meeres tief zerfurcht, was ein unübersichtliches Feld aus spitz emporragenden Basaltzähnen hinterlassen hatte.
Arton fühlte ein Kribbeln durch seine Adern kriechen, ein Vorbote jener Euphorie, die sich bei ihm immer während und besonders nach einem guten Kampf einstellte. Erst jetzt, nachdem er wieder den süßen Geschmack des Triumphs gekostet hatte, wusste er, was ihm in den dunklen Schächten der Mine gefehlt hatte. Licht, frische Luft, die Weite der Natur, all das waren durchaus Dinge, auf die er nicht gerne verzichten mochte. Aber seine Stärke, seinen Mut und sein Können unter Beweis zu stellen, mit der Kraft seines Verstandes und seiner Arme etwas zu bewegen, erst dieses erhebende Gefühl hatte ihn aus der dumpfen Umklammerung seiner Selbstvorwürfe befreit. Seit ihrem Sieg über die Gardisten beim Wachturm sah er wieder Sinn darin, weiterzuleben, denn er hatte eine Aufgabe. Die Eroberung der Festung und damit des Hafens von Andobras würde den Arbeitern die Freiheit sichern, aber das war nicht das Entscheidende. Vielmehr brächte es ihn selbst seiner lange ersehnten Rache bedeutend näher, denn wenn die Insel in seiner Hand wäre, würden sich sowohl die nötige Ausrüstung als auch die erforderlichen Seeleute finden lassen, um ein ganzes Schiff auszurüsten für die Jagd auf den Verräter Megas.
Bislang konnte er mit Recht stolz auf das Erreichte sein. Ohne einen einzigen Schwertstreich hatten sie die zwanzig Bewacher des letzten Sklavenzugs gefangen genommen, wodurch sie ihre eigenen Reihen mit neuen Leuten und weiterer Ausrüstung hatten stärken können. Wenn alle die Festung rechtzeitig erreichten, würden sie ihren Überraschungsangriff mit mehr als hundert Mann führen können. Natürlich war Arton bewusst, dass diese schlecht oder gar nicht an der Waffe ausgebildeten Kämpfer keine wirklich ernst zu nehmenden Gegner für die zumindest hinlänglich kampferprobten Gardisten darstellten. Aber er setzte auf das Überraschungsmoment. Er hoffte, dass besonders der Angriff von innen für reichlich Verwirrung in den Reihen der Soldaten sorgen würde und dadurch ein organisierter Widerstand unterbunden werden konnte. Würde es den Gardisten gelingen, sich irgendwo zu sammeln oder sich womöglich in einem der Wachtürme festzusetzen, dann hätten die ungeübten Angreifer schlechte Karten. Könnten sie hingegen in Überzahl kleine, ungeordnete Gruppen der Garnisonsbesatzung nach und nach überwältigen, dann standen ihre Chancen gar nicht so übel. Deshalb hatte er auch darauf bestanden, den Angriff im Inneren der Burg anzuführen, da ein koordiniertes Vorgehen hier über Sieg oder Niederlage entscheiden konnte.
Sie erreichten den Eingang zur Festung. Zwei ebenfalls in dicke Mäntel gehüllte Gardisten standen neben den geöffneten Torflügeln und beobachteten missmutig die Gläubigen, die unablässig durch das überraschend schmale Tor hereinströmten. Mit gesenkten Köpfen passierten Arton und die anderen die beiden Wachposten. Falls diese etwas bemerkt hatten, ließen ihre eher gelangweilt wirkende Haltung und ihr nach wie vor übellauniger Blick davon nichts erkennen. Ohne Schwierigkeiten durchquerten die ehemaligen Gefangenen des Bergwerks von Andobras den übermauerten Torweg zwischen den zwei niedrigen Wachtürmen und traten unter einem hochgezogenen Fallgitter hindurch auf den Hof der Burg hinaus. Dort herrschte eine erstaunliche Betriebsamkeit. Der Großteil der Stadtbewohner setzte seinen Weg über den Platz zu einem mächtigen, zweigeschossigen Gebäude im hinteren Teil des umfriedeten Plateaus ohne Umschweife fort. Das unübersehbare goldene Sonnensymbol über der Eingangspforte wies dieses größte Gebäude der Festungsanlage eindeutig als den Cittempel aus. Ein gewundenes,
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