Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm
anstellen?«
»Warte auf das Bajulafest morgen.« Derbil blickte ihre Freundin mit einem vielsagenden Lächeln an. »Der Göttin Bajula ist die Liebe heilig, denn Liebe ist der Quell allen Lebens. Das Bajulafest ist das Fest der Fruchtbarkeit und der Liebenden. Keiner kann sich dem Willen der Göttin entziehen – auch nicht Arton!«
GABE UND FLUCH
E s war der Tag des großen Bajulafestes, das wie jedes Jahr die Niederlage des Winters gegen die wärmenden Strahlen der Sonne feierte. Es war die Zeit, in der alle Frühlingsblumen ihre Blütenpracht miteinander zu messen schienen und an den Bäumen das erste Grün in neu erwachter Kraft hervorspross. Die Bauern begannen erst nach diesem Fest mit der Aussaat, nachdem sie in der Bajulanacht die ewig junge Göttin um eine gute Ernte gebeten hatten. Bajula war eine der vier großen Götter des Südens, wobei sie besonders von den Fendländern und den benachbarten Nomadenstämmen als die Mutter der Welt verehrt wurde. Alles, was man Bajula abnahm, sei es ein gefällter Baum oder geerntetes Korn, ein erlegtes Wild oder Wasser zum Trinken, verletzte sie, da dies alles ihre Kinder waren, die durch sie einst zum Leben erweckt wurden. Deshalb musste Bajula an diesem Festtag versöhnlich gestimmt werden, um sich ihrer Gunst zu versichern. Da Bajula eine sehr frohe Gottheit war, konnte man ihre Gunst am besten durch ein ausgelassenes Fest gewinnen. Dabei wurde am ersten Tag der Göttin zu Ehren für jedes Tier, das man schlachtete, ein weiteres freigelassen. Meist wurden zu diesem Zweck einige Tage vor dem Fest wilde Tiere aus dem Wald gefangen, um sie dann an dem großen Festtag wieder laufen zu lassen. Dies entsprach zwar nicht mehr so ganz dem ursprünglichen Sinn des Rituals, doch man konnte es sich unmöglich leisten, das wertvolle Zucht- und Schlachtvieh einfach freizulassen, besonders nicht jetzt nach dem harten Winter. Inzwischen war es allerdings auch im Wald nicht mehr leicht, ausreichend Tiere zu finden, nachdem seit Ende der Winterstürme jeder Fendländer den Forst nach erlegbarem Wild durchstreifte. Doch die Menschen nahmen es gelassen: Man musste sich eben mit dem begnügen, was noch aufzutreiben war. Da in Fendland die Sommer fast immer sehr mild waren, ausreichend Regen fiel und der Boden überall recht fruchtbar und mit reicher Ernte gesegnet war, ging man davon aus, dass die Göttin es sowieso nicht so genau nahm mit der Menge der verschonten Tiere. Schließlich, so sagten sich die Fendländer, war es die Geste, die zählte.
Zusätzlich zu den Freilassungen wurde zu Ehren von Bajulas Gemahl Kaloqueron, dem Gott und Herrscher der Meere, am Abend nach dem Fest eine große Menge Wein dem Meer übergeben. Dazu fuhren alle Schiffe der Stadt in einer feierlichen Prozession auf den Ozean hinaus, wo dann das Weinopfer dargebracht wurde. Dies symbolisierte gleichzeitig die Wiedervereinigung von Bajula mit ihrem Gatten Kaloqueron. Denn der Legende nach bildeten einst Land und Wasser eine Einheit, die alle Lebewesen beherbergte und nährte. Bajula und Kaloqueron lebten in ihrem gemeinsamen Glück zusammen, während sie gütig und fürsorglich über die Obererde herrschten. Über ihnen wachte der mächtigste aller Götter, der allsehende Cit, dessen Augen Sonne und Mond bildeten und der der Behüter von Recht und Ehre war. Kaloquerons ungleicher Bruder Xelos hingegen war Herr über die Unterwelt, wo die Seelen aller Toten einkehrten zur ewigen Ruhe. Dort brannte das unauslöschliche Feuer am Eingang zum Totenreich, durch das nur die reinen Seelen unbehelligt in das Reich Xelos’ gelangen konnten. Diejenigen, die Schuld auf sich geladen hatten, mussten diese unter unsäglichen Qualen in den läuternden Flammen sühnen. Wagten sie es nicht, diese Buße auf sich zu nehmen, oder waren ihre Verfehlungen zu schwerwiegend, so waren sie dazu verdammt, auf ewig in der einsamen Schattenwelt zwischen Diesseits und Jenseits umherzuirren. Deshalb wurde am Bajulafesttag auch immer ein gewaltiges Feuer entfacht, um die Menschen während der ausgelassenen Feierlichkeiten auch an das Ende aller Dinge zu erinnern.
Xelos in seinem Reich fern des Lichts beneidete jedoch bald seinen Bruder Kaloqueron um seine liebliche Braut Bajula. Deshalb versuchte er, sie für sich zu gewinnen, doch sie lehnte ihn ab. In seinem Stolz verletzt, belog Xelos den allsehenden Cit, indem er ihm erzählte, Kaloqueron habe Ehebruch begangen mit einer Nube, einer Art Meeresnixe. Cit glaubte dem Herrn der
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