Vermächtnis des Pharao
Kaianlagen. Amenworse und Huy erregten nicht mehr Aufmerksamkeit als sonst irgend jemand, der von hier aus in die Stadt fuhr.
Sowie sie eingestiegen waren, tauchten die beiden Rikschafahrer unter der Deichsel hindurch, stemmten sich mit den Hüften ins Geschirr, und als der Wagen hinter ihnen hochkippte, setzten sie ihn langsam in Bewegung und verfielen dann in einen flotten Laufschritt. Huy fiel auf, daß weder ein Fahrpreis ausgehandelt noch ein Ziel genannt worden war.
Sowie sie die Kaianlagen hinter sich gelassen hatten, verschluckte sie ein Gewirr von Straßen, gesäumt von Lehmziegelhäusern. Diejenigen, die größeren Wohlstand vermuten ließen, hatten Türen und Türrahmen aus Holz. Viele der Häuser waren sehr heruntergekommen, ihre Wände waren narbig, wo der Lehmputz heruntergefallen war, und der ungepflegte Kalkanstrich war tristbraun. Ebensoviele Häuser waren allerdings auch von wackligen Palmholzgerüsten umkleidet. Die Straße bestand aus festgestampftem Lehm, denn die Stadt stand oberhalb des höchsten Hochwasserpegels, und Mut vergoß nur selten Tränen für ihr glückliches Volk - Steinpflaster war also überflüssig. Um diese Tageszeit war kaum jemand unterwegs; die Leute waren entweder zu Hause oder nach der Nachmittagsruhe wieder an ihre Arbeit zurückgekehrt. Auf den freien Plätzen, die sie auf ihrer Fahrt immer wieder überquerten, hatten Händler ihre Waren auf Planen ausgebreitet: Krüge mit Palmöl, Kosmetika, getrockneten Fisch und Datteln. Im Schatten schützten Metzger ihr Fleisch vor den Fliegen und der
Sonne, indem sie es in nasses Leinen wickelten. Durch Lücken zwischen den Häusern und am Ende der Seitenstraßen, die schnurgerade zum Ufer führten, konnten die Fahrgäste einen Blick auf die Sandsteinklippen der mächtigen Bauten werfen, die von den Gottkönigen für die Ewigkeit errichtet worden waren. Ihre Fassaden wimmelten von Arbeitern, die Stadt bereitete sich auf ihre Wiedergeburt vor.
Huy betrachtete die angespannten Rückenmuskeln der Rikschafahrer und ihre von losen Turbanen aus Sackleinen umschlungenen Köpfe, während sie sich mit ihrer Last die breite Straße hinaufplagten, die sanft ansteigend vom Stadtzentrum hinaus zu den größeren, weniger eng stehenden Häusern der Kaufleute führte. Als Junge war er oft hierher gekommen, um als Amotjus Gast in der Villa des alten Ramose zu spielen, und hier hatte sich wenig verändert. Von dem Verfall, den er halb erwartet hatte, war nichts zu spüren; freilich standen etliche der herrschaftlichen Häuser leer, und ihre Gärten und Fischteiche waren vernachlässigt. Entlang der Straße sorgten Palmen und gelegentlich auch Feigenbäume für spärlichen Schatten, und große, in die Erde eingelassene Tanks, von Sklaven, die schwere Krüge vom Fluß heraufschleppten, mühselig gefüllt, sorgten dafür, daß genug Wasser vorhanden war, um die Gegend beständig grün und kühl zu halten.
Endlich bogen sie ab, und es ging ein wenig an einer hohen, glatten weißen Mauer entlang. Dann hielten sie vor einer ockergelb bemalten Tür mit einem schützenden Anch- Amulett. Hier bedeutete Amenworse, der während der ganzen Zeit, die Huy in seiner Obhut gewesen war, kein einziges Wort gesagt hatte, ihm mit einem Nicken, daß er nun aussteigen müsse.
»Wo sind wir?«
Wieder ein Nicken.
»Wessen Haus ist das?« Dann sah Huy, daß Amenworse ihm nicht in die Augen schaute, sondern auf die Lippen. Der Matrose hob den Blick und öffnete den Mund, doch nur ein ersticktes Chaos von Geräuschen ertönte. Ohne ein weiteres Wort warf Huy seine Tasche über die Schulter und stieg aus. Durch die Sohlen seiner Palmblattsandalen spürte er die Hitze des Spätnachmittags.
Sowie er ausgestiegen war, zogen die Rikschafahrer wieder an, und schon stand er allein auf der stillen, sonnigen Straße.
Er wollte an die Tür klopfen, als sie sich öffnete. Auf lautlosen Angeln schwang sie nach innen und offenbarte einen freundlichen, formell angelegten Garten. Lotosblumen umgaben einen rechteckigen See, in dem große dunkle Fische brüteten. Ein Sklavenmädchen stand neben dem Eingang, sie trug ein langes Hemd, kupferne Armreifen und Knöchelringe. Vielleicht war es doch Amotjus Haus, und man hatte ihn an der Hintertür abgeliefert.
Dann sah er sie.
Bei ihrer letzten Begegnung mußte sie zwölf gewesen sein. Wieviel Unterschied sechs Jahre ausmachten - obwohl sie ja damals schon schön gewesen war; der alte Ramose hatte drei potentielle Ehemänner bewirtet. Er
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