Vermächtnis des Pharao
ist das Problem mit Leuten wie dir«, sagte Ani. »Ihr wollt alles genau nach Vorschrift machen. Na, den Göttern sei Dank, daß es immer noch ein bißchen Platz für natürliche Gerechtigkeit gibt. Ich hätte es nicht ertragen, einen Mann wie den frei herumlaufen zu sehen.«
»Kannst du mir nicht sagen, wer dir geholfen hat?«
»Wieso willst du das wissen?«
»Ich bin neugierig.«
»Das ist kein guter Grund.«
»Sag’s mir trotzdem. War es Amotju?«
»Nein«, sagte Ani; er wußte, daß Huy das überprüfen konnte, und ahnte nicht, daß Amotju inzwischen auf Huys Dienste verzichtet hatte. »Aber es waren Freunde. Mächtige Freunde.« Ein mehr als warnender Unterton lag da in seiner Stimme.
Huy gab auf. Er war vor einer Mauer angelangt. Er mußte den Weg zurückgehen, auf dem er gekommen war.
Die Planke führte beinahe horizontal vom Deck zum Kai, so hoch war der Fluß inzwischen gestiegen; Huy überquerte sie nachdenklich, nachdem er sich bedrückt von Ani verabschiedet hatte. Er mochte den Kapitän und hatte volles Verständnis für seine Motive, auch wenn er selbst nie so gehandelt hätte.
Innerlich lächelte er über sich selbst. Er hatte sich nie als Mann der Tat betrachtet, sondern eher als einen, der die Sicherheit bevorzugte, die Sinnesfreuden und die Erhaltung des Status quo - solange es einer war, den er mit seinem Gewissen vereinbaren konnte. Und doch lief er jetzt hier herum, wühlte im Leben anderer Menschen und machte sich vielleicht sogar Leute zu Feinden, die Fremde gewesen waren.
Hinter ihm streichelte die Sonne den Rand des Horizonts, und der glitzernde Fluß färbte sich erst golden, dann kupfern, dann rot. Huy betrachtete die Steine vor sich; auch sie waren golden. Sein Schatten wurde mit jedem Schritt länger, und die verzerrten Umrisse reflektierten getreu jede Welle und jede kleine Rille im Gestein, über die er hinwegglitt. Huy stellt sich eine andere Form eines stillen Lebens vor: eines, das die Bauern noch immer führten, aber die Politiker und die Machthungrigen für immer fortgeworfen hatten, seit sie die Kraft ihrer ei-genen Persönlichkeit entdeckten. Die Bauern waren immer noch Besitz des Pharao - der Sonne und des Flusses; sie hatten keine Zeit für etwas anderes als ihre Arbeit, kein Verlangen, außer nach Essen und Liebe - und vor allem kein Bewußtsein von sich selbst als Individuen, was, wie Huy allmählich erkannte, die Wurzel des Unglücks war. Wann war aus beruhigender Taubheit dieses Gefühl aufgetaucht? War es schon dagewesen, als Menes zweitausend Jahre zuvor das Schwarze Land einte?
Aber auch die Bauern waren nicht immun gegen die Angst, und Huy hatte gehört, daß unter ihnen gemordet wurde.
Der Abend brachte Erlösung von der Hitze des Tages; die Menschen strömten auf die Straße hinaus, und Geschäfte und Buden öffneten. Huy fühlte sich wohler im Gedränge, während er nun zu Aset zurückkehrte. Menschen um sich zu haben, hielt die düsteren Gedanken in Schach. Und außerdem war es in einer Menschenmenge leichter, anonym zu bleiben.
Aber es war natürlich auch viel schwieriger festzustellen, ob man verfolgt wurde; Huy hatte wenig Erfahrung in diesen Dingen und ließ sich von seinem Instinkt leiten, aber auch von dem intensiven Wunsch, Aset vor allem Übel zu schützen, das ihm galt oder ihn möglicherweise ereilte. Beide Führer ließen ihn diesmal im Stich.
Er war zwischen den kahlen Mauern zweier großer Häuser in eine Gasse eingebogen, die zwei Hauptstraßen miteinander verband. Es war eine lange Gasse mit zwei scharfen Biegungen. Als er um eine dieser Ecken bog, standen ihm drei Männer gegenüber: Sie stammten aus dem Süden, trugen Medjay-Kilts und versperrten ihm den Weg.
»Huy, der ehemalige Schreiber?«
»Das wißt ihr doch.«
»Mitkommen.« Der Offizier, der dies sagte, stand auf der linken Seite des Trios. Seine Stimme klang ruhig, beinahe müde, aber ein scharfer Unterton ließ keine Widerrede zu. Huys Blick ging von einem Medjay zum anderen. Anscheinend waren sie nicht bewaffnet, aber wegzulaufen oder sich zu wehren wäre trotzdem nutzlos.
Huy neigte den Kopf. Der erste Mann drehte sich wortlos auf dem Absatz um und ging davon. Huy folgte ihm, und die beiden anderen schlossen sich ihm an. Die kleine Prozession brauchte nicht weit zu gehen. Kurz vor der Hauptstraße blieben sie an einem kleinen Torbogen stehen, den Huy vorher nicht bemerkt hatte. Er wurde hindurch geschoben; dann packten sie ihn bei den Armen und führten ihn nach links
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