Vermächtnis des Pharao
Finsternis. Der Schock war zu groß, als daß er etwas anderes als ruhige Neugier hätte empfinden können: Wer hatte ihm diese mächtige Grube gegraben, und warum? Und warum hatte er das Gefühl, viel langsamer zu fallen, als er es im normalen Lauf der Natur getan hätte, wenn ihn die Erde mit der Macht ihrer eigenen Umarmung angezogen hatte? Eigentlich schien er überhaupt nicht zu fallen, sondern vielmehr zu schweben. Und er stellte sich immer noch Fragen, als die Stille und die Dunkelheit ihn vollends verschluckten.
A CHT
Die Dunkelheit und die Stille, die ihn umgaben, waren abgrundtief. Sein Herz wollte ihm nicht erlauben, wahrzunehmen, daß er...bei Bewußtsein war.
Bewußtsein. Das Wort war eine Verhöhnung seines Zustandes. Es war so dunkel, daß er seine Arme und Beine nicht sehen konnte. Nicht einmal seine Schultern, seine Brust, die Teile seines Körpers, die ihm am nächsten waren, konnte er erkennen. Er wußte nicht einmal, ob er stand oder lag. Er spürte keinen Boden unter sich - wußte nur, daß er nicht mehr fiel oder schwebte.
Da waren seine Augen. Er wußte, sie waren offen. Er konnte sie auf- und zuklappen und seine Lider dabei spüren. Wenn sie geschlossen waren, waren seine Augen geschützt. Wenn sie offen waren, nicht. Das war der einzige Unterschied. Die Dunkelheit bedrängte seine Augen, und wenn ihm nicht so merkwürdig entspannt zumute gewesen wäre, hätte er vor Panik über das Ersticken des Lichts wohl geschrien. Was machte ihn so sicher, daß seine Augen immer noch fähig waren, etwas zu erkennen? Wie konnte er in seinem Herzen unterscheiden zwischen der äußeren Dunkelheit, in der er sich befand, und der inneren Dunkelheit der Blindheit? Er wußte es nicht. Seine Hand wanderte zu dem Amulett, das er trug, dem Udjat -Auge des Horus, geopfert im Kampf des Gottes mit Seth und den Menschen geschenkt. Dann verharrte seine Hand. Er war nicht sicher, ob es seine Hand war oder ob sich da etwas anderes bewegte.
Später - er hatte keine Ahnung, um wieviel später oder ob er die ganze Zeit bei Bewußtsein gewesen war - begann er, seine Arme und Beine, seine Finger und Zehen, durch die Kanäle des Körpers zu fühlen. Er merkte, daß sie sich wieder bewegen und strecken ließen. Seine Arme konnte er ausstrecken. Mit den Beinen war die Sache schwieriger. Er hob das linke Bein, aber das rechte wollte nicht gehorchen. Er ließ das Bein sinken und wiederholte das Experiment, diesmal mit dem rechten Bein. Die Wirkung war die gleiche.
Jetzt betastete er seinen Körper mit den Händen. Er war da. Er hatte Form. Das Verstreichen der Zeit wurde durch diese Entdeckungsreise fühlbar. Er spürte sogar seinen Kilt. Dann verspotteten ihn seine Sinne. Sie drehten ihn um und um, so daß er wirbelte und flatterte wie ein Blatt im Wind. Es war ein angenehmes Gefühl und er gab sich ihm hin, gleichzeitig allerdings bedauerte ein Teil seines Geistes, daß er das Experiment nicht hatte zu Ende führen und nach unten greifen und ertasten können, worauf er wohl gestanden hatte. Falls er gestanden hatte. Falls er auf irgend etwas gestanden hatte. Schließlich kam er sanft wieder zur Ruhe. In einer anderen Stellung. Aber in welcher?
Er klammerte sich an den einen Gedanken: Er war in seinem Körper. Er fragte sich, ob er an seine Vergangenheit denken sollte, und versuchte es, aber die Anstrengung war zu groß, trotz der Panik, die ihn erfaßte bei dem Gedanken, er könnte alles vergessen haben. Er wagte nicht einmal, sich seinen Namen zu sagen, denn sie konnten unausgesprochene Worte hören, und wenn sie zuhörten und seinen Namen erfuhren, dann war ihre Macht über ihn grenzenlos.
Also sprach sein Herz seinen Namen bei sich, tief in seiner innersten Festung, die niemand sonst betreten konnte: Huy.
Er war also noch am Leben. Wäre er tot, dann hätte er sich bestimmt aufgelöst - in die acht Elemente. Er setzte die Bestandsaufnahme seiner selbst fort. Strenger diesmal, aber immer noch ohne Hast, schlängelte er sich durch den samtenen Nebel wie durch ein Labyrinth und formte seine Gedanken. Er spürte seinen Chat, seinen Körper; er mußte sein Chou benutzen, um überhaupt denken zu können. Er kannte seinen Namen, sein Ren, weil sein Herz, sein Ab, ihn ausgesprochen hatte. Aber die anderen Elemente, jene, die keinen Widerpart im Leben besaßen, die konnte er in sich nicht fühlen. Wären sie draußen, in der Dunkelheit, zerfloß er jetzt in ihnen? Sein Ka, sein Chaibit, sein Ba, sein Sahu ? Hatten die Toten
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