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Vermächtnis des Pharao

Vermächtnis des Pharao

Titel: Vermächtnis des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anton Gill
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wohl eine Erinnerung an ihr Leben? Er würde sich doch bestimmt erinnern, wie man ihn für das Grab vorbereitet hatte. Müßte nicht sein Ka erschienen sein, um ihn bei der Hand zu nehmen und den Schmerz zu vernichten, während sein Leichnam mit Natron getrocknet und im weißen Sand vergraben wurde? Aber schon davor - müßte er sich nicht daran erinnern, wie ihm die verderblichen Teile aus dem Leib gerupft worden waren: das Gehirn, das körperliche
    Herz, die Därme, die Leber, die Nieren, die Blasen, die Eingeweide? Müßte er nicht den Schmerz gefühlt haben, den die Einbalsamierer mit ihren Steinmessern ihm beim Setzen der Bauchschnitte zugefügt hatten - den Schmerz und dann die süße Pein der Erleichterung, als alles mit langen, schlanken Haken aus ihm herausgezogen worden war, nachdem Verwesung es so weich gemacht hatte, daß man damit hantieren konnte? Müßte er sich nicht daran erinnern, wie alles herausgenommen und in Natron getrocknet und dann in den Gläsern der Söhne des Horus gelagert worden war, um ersetzt zu werden durch weiche Leinenfüllungen oder sauberes Harz, damit seine Gestalt erhalten blieb? Aber was bewohnte er dann jetzt, wenn nicht den Körper, den er kannte?
    Doch wer sollte sich um ihn gekümmert haben? Wer sollte die Einbalsamierer bezahlt haben? Er war allein. Sein Grab lag verlassen, halb vollendet, fern in der Stadt des Horizonts. Schon würde der Sand hineinwehen, schon würden die Mäuse dort eingezogen sein. Ob jemand Aahmes Bescheid gesagt hatte? Wer würde Speise für seinen Ka bringen? Dumpfes Selbstmitleid packte ihn.
    Dann überlegte er, ob er einen Ton von sich geben könnte.
    Er wagte kaum, das Schweigen zu brechen, und ein neuer Gedanke kämpfte sich durch den Nebel, der sein Herz umwölkte und verstopfte:
    Was, wenn ein Geräusch ihn verriete? War dies ein Schweigen, das gebrochen werden durfte? Oder barg es Dinge, die von der Dunkelheit so geblendet waren, wie er, aber schon länger daran gewöhnt und fähig, geführt vom Geräusch durch das Dunkel zu ihm zu finden?
    Er raffte seinen Mut zusammen, um einen Ton von sich zu geben, wollte etwas, das ihm Gesellschaft leistete, wenn es sonst nichts taugte. Dabei stieß er auf eine neue Erkenntnis: Um ein Geräusch zu machen, muß man atmen können. Eine neuerliche Woge der Panik...Hatte er seit seinem Sturz - und sei es nur für einen Augenblick - bewußt geatmet? Er wagte kaum zu denken: Wenn er nicht atmete, war er tot. Sein Herz war immer noch gefangen in den weichen Netzen der Dunkelheit - nicht unfähig, Gedanken hervorzubringen, doch mußte es dafür gegen eine alles überwältigende Trägheit ankämpfen. Was machte es schon, ob er atmete oder nicht?
    Aber er öffnete den Mund, und eine Botschaft drang durch ein scheinbar unendliches Fasergeflecht zu ihm, der er im Zentrum seines Körpers saß: daß Luft kam und ging, kam und ging. Er beschloß, sich zu räuspern.
    Er tat es, bevor er weiter darüber nachdenken und so der Angst erlauben konnte, ihn daran zu hindern. Aber noch immer kam kein Geräusch zustande, abgesehen von einem dumpfen Saugen, als sein Mund Luft einatmete.
    Gleichwohl genügte dies schon, um ihn zusammenzucken zu lassen, alle Sinne angespannt. Sie konnten es gehört haben - sogar das. Es war immerhin ein Geräusch gewesen.
    Andererseits, wenn sie so empfindsam waren und er als Huy, als Mensch noch existierte, warum konnten sie ihn dann nicht riechen? Er war sich seines eigenen Geruches bewußt; er roch jetzt nach Schweiß, als seine Angst erwachte.
    Die Weichheit wieder. Die Trägheit. Konnte sie den Ansturm der Angst überwinden? In welcher Stellung befand er sich? Unbequem war es nicht, nicht verkrampft; aber irgendwie wollte er sich nicht ausstrecken - aus Angst vor dem, was er dann berühren könnte. Er würde warten. Was konnte er sonst tun?
    Aber er kam nicht zum Warten. Neue Empfindungen. Außer der Dunkelheit und der Stille, die er nun als äußerlich auferlegt empfand und akzeptierte, gab es auch Temperatur. Erst jetzt, da er Kälte spüren konnte - noch dazu aus einer bestimmten Richtung -, wurde ihm klar, daß ihm warm gewesen war. Was bedeutete die Kälte? Sein Herz stellte sich die Fragen und verwarf sie im selben Augenblick müde. Was quälte er sich mit nutzlosen Fragen ab? Warum nahm er nicht einfach alles hin und fügte sich? Schlaf.
    Das nächste, was ihm bewußt wurde - nach wie langer Zeit, wußte er nicht, denn in seinem
    Herzen war Nebel, und es wollte seine Gedanken immer noch

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