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Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Titel: Vermächtnis des Schweigens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Gudenkauf
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ihr nicht viel erzählt.“ Gus klingt unglücklich. Charm weiß, dass er ihre Mutter immer noch liebt. Sie ist auch sehr liebenswert. Zumindest so lange, wie es ihr zum Vorteil dient, denkt Charm. Danach will man sie einfach nur verscheuchen, so wie man eine aufdringliche Mücke verscheucht. Aber Gus ist immer noch nicht über sie hinweg, selbst nach all den Jahren nicht. „Ich habe ihr gesagt, dass es dir gut geht, dass du nächsten Frühling deinen Abschluss als Krankenschwester machst, dass du ein nettes Mädchen bist.“ Dann verfinstert sich Gus’ Gesicht, als wenn eine Sturmwolke darüber hinwegzieht. „Natürlich hat sie auch nach deinem Bruder gefragt. Ich habe ihr gesagt, dass ich seit Jahren nichts mehr von ihm gehört habe und diesen Mistkerl auch nicht im Entferntesten vermisse.“
    „Ich wette, das hat ihr gefallen.“ Charm lächelt. Ihr Bruder ist der Liebling ihrer Mutter. Sein Vater war der einzige Mann, den Charms Mutter jemals wirklich geliebt hat, der aber leider nichts von ihr wissen wollte. Kluger Mann, denkt Charm.
    Gus legt die Kolache auf den Tisch und schaut Charm an. Schmerz liegt in seinen müden blauen Augen. „Sie sagt, dass er sie angerufen und eine seltsame Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter hinterlassen hat.“
    „Oh.“ Charm tut so, als würde sie das nicht interessieren. „Was für eine Nachricht?“
    „Das hat sie nicht gesagt. Sie sagte, sie will mit dir sprechen. Du sollst sie zurückrufen“, erwidert Gus grob.
    „Du siehst müde aus. Warum legst du dich nicht ein Weilchen hin?“ Gus widerspricht nicht, was alles sagt. Langsam schiebt erden Stuhl vom Küchentisch weg und kommt unsicher auf die Füße. „Denk dran, später am Abend kommt Jane noch vorbei“, erinnert sie ihn.
    Beinahe jeden Abend kommt Jane, eine Krankenschwester vom Verein für Häusliche Pflege, vorbei, um nach Gus zu sehen. Charm hat sich darum gekümmert, nachdem Gus angefangen hatte, Blut zu husten und immer verwirrter zu werden. Jane misst seinen Blutdruck, hört seine Lungen ab und stellt sicher, dass er gut versorgt ist. Gus ist sehr stolz auf sein Aussehen, und kurz bevor Jane kommt, richtet er sich immer noch ein bisschen mehr auf, steckt sein Hemd in die Hose und kämmt sich die Haare. Durch den Krebs hat seine Haut einen leicht gelblichen Ton angenommen, und seine einst starken Arme sind nun dünn wie Weidenzweige, aber trotzdem ist Gus immer noch ein Herzensbrecher.
    „Ah, Jane“, sagt er lächelnd. „Meine Lieblingskrankenschwester.“
    „Hey“, sagt Charm gespielt empört. „Ich dachte, ich wäre deine liebste Krankenschwester.“
    „Du bist meine liebste zukünftige Krankenschwester“, erklärt Gus. „Jane ist meine liebste lizenzierte Krankenschwester.“
    „Na gut, damit kann ich leben.“ Charm tritt hinter Gus, für den Fall, dass er das Gleichgewicht verliert. Wie eine Mutter, die über die ersten Schritte ihres Kleinkindes wacht. „Solange wir uns generell einig sind.“ Sie passt auf, dass Gus gut in sein Bett kommt, stellt ihm ein Glas mit frischem Wasser auf den Nachttisch und überprüft noch einmal den Sauerstofftank.
    „Charm“, sagt Gus und zieht sich die Decke bis zum Kinn hoch. „Ich habe heute noch mit jemand anderem gesprochen.“ An seinem ernsten Tonfall merkt sie, dass diese Unterhaltung wichtig war. „Ich habe die Leute im Hospiz angerufen …“
    „Gus“, unterbricht sie ihn. „Nicht …“ Tränen brennen ihr in den Augen. Sie ist noch nicht bereit, diese Unterhaltung zu führen.
    „Ich habe das Hospiz angerufen“, wiederholt er energisch.„Wenn es so weit ist, will ich hier sein, in unserem Zuhause. Nicht im Krankenhaus. Hast du das gehört?“
    „Es ist noch zu früh …“, setzt Charm an, aber Gus gebietet ihr Einhalt.
    „Charm, Kleine. Wenn du Krankenschwester werden willst, musst du lernen, deinen Patienten zuzuhören.“
    „Aber du bist nicht mein Patient.“ Sie versucht, nicht zu weinen, und fängt an, die Jalousien herunterzulassen, um die frühnachmittägliche Sonne auszusperren.
    „Wenn es so weit ist, rufst du das Hospiz an. Ich habe die Nummer ans Telefon gelegt.“
    „Okay.“ Obwohl sie nicht damit einverstanden ist, stimmt sie Gus zuliebe zu. Sie ist noch nicht bereit, Gus gehen zu lassen. Er ist die einzige echte Familie, die sie hat und jemals gehabt hat. Sie braucht ihn. Erschöpfung und Schmerzen spiegeln sich in seinem Gesicht. „Kann ich dir noch etwas bringen, bevor ich zur Schule fahre?“, fragt Charm. Sie

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