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Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Titel: Vermächtnis des Schweigens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Gudenkauf
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krank geworden war. Seit der Diagnose fragter Charm regelmäßig, wieso sie bei einem kranken alten Mann bleibt. „Weil das hier mein Zuhause ist“, sagt sie ihm jedes Mal. „Du bist mein Zuhause.“
    „Hey, Gus.“ Charm versucht, entspannt zu klingen; sie will nicht, dass er weiß, dass sie sich Sorgen macht. „Ich war nur im Buchladen und habe dann ein wenig eingekauft.“
    Gus schaut ihr einen Moment in die Augen, dann fragt er: „Wie geht es dem kleinen Jungen?“
    „Er war nicht da, aber Claire sagt, es geht ihm prächtig. Nächste Woche fängt er mit der Vorschule an, kannst du dir das vorstellen?“
    Gus schüttelt den Kopf. „Nein, kann ich nicht. Ich bin froh, dass er sich gut entwickelt.“
    „Ich habe dir eine Kolache mitgebracht“, sagt Charm, bevor er noch mehr über Joshua sagen kann. Sie reicht Gus die Tüte mit dem tschechischen Gebäck, das er so gern mag. „Ich verspreche dir, eines Tage lerne ich, wie man sie selber macht“, sagt sie, als er nach der Tüte greift.
    „Nein, so sind sie perfekt“, widerspricht er, aber sie weiß, dass das nicht stimmt. Gus hat immer frische Kolaches nach dem Rezept seiner Großmutter gemacht. Jetzt ist er aber meistens zu schwach, um mehr als zehn Minuten auf den Beinen zu sein.
    „Deine Mutter hat angerufen.“ Gus’ Stimme ist rau und lässt ihn älter klingen, als er mit seinen fünfzig Jahren ist. Es fällt Charm schwer, zu sagen, ob das am Krebs liegt oder ob ihn der Anruf ihrer Mutter betrübt hat.
    Charm und ihre Mutter sprechen selten miteinander. Ab und zu versuchen sie, wieder eine Beziehung zueinander aufzubauen, aber ihre Begegnungen enden meistens mit bitteren Tränen und bösen Worten.
    „Was wollte sie?“, fragt Charm verdrossen.
    Sie gehen gemeinsam durch die Seitentür in die Küche. Charm zieht einen Stuhl unter dem Tisch hervor; die Beine kratzen geräuschvoll über den verblassten, mit blauen Blumen verzierten Linoleumboden. Gus setzt sich vorsichtig. Er ist in letzter Zeitziemlich unsicher auf den Beinen, und Charm macht sich ständig Sorgen, dass er hinfallen könnte. Gestern ist er über die Kante gestolpert, an der das Linoleum in den Teppich übergeht, und ist gestürzt. Er hat sich die Knie aufgeschlagen und die Ellbogen angehauen. Charm musste ihn hinsetzen wie einen Dreijährigen, seine Wunden versorgen und Pflaster auf die Knie kleben. Ihr wurde klar, dass es an der Zeit ist, sich mit Gus darüber zu unterhalten, jemanden zu engagieren, der tagsüber bei ihm bleibt, während sie in der Schule oder im Krankenhaus ist.
    „Sie ist aber nicht vorbeigekommen, oder?“, nimmt Charm mit panisch aufgerissenen Augen den Faden wieder auf. Falls ihre Mutter vorbeigekommen wäre, hätte sie mit einem Blick gesehen, wie schlecht es ihm geht, und sofort angefangen, wie ein Geier über ihm zu kreisen. Gus hat nicht viel, aber das Haus und sein Auto sind abbezahlt. Reanne fand schon immer, dass sie nach der Scheidung das Haus hätte bekommen sollen, und Charm würde es nicht für unmöglich halten, dass sie Gus’ jetzigen Zustand ausnutzen und versuchen würde, am Ende doch alles in die Hände zu bekommen.
    Gus schüttelt den Kopf, der für seinen Körper viel zu groß aussieht. Er hat in den letzten Monaten sehr viel an Gewicht verloren. „Nein, sie wollte nur reden.“ Charm sieht zu, als Gus eine Kolache aus der Tüte holt und einen kleinen Bissen nimmt. Er tut das ihr zuliebe, weil er nicht will, dass sie den Arzt anruft und sagt, dass er nicht isst. Er nimmt nie mehr als ein paar kleine Happen von etwas.
    „Sie will mehr Geld, richtig?“ Charm fragt, obwohl sie die Antwort kennt. Das ist so typisch für ihre Mutter. Keine Anrufe, keine Geburtstagskarten, nichts. Und dann, aus dem Blauen heraus … ein Anruf. Natürlich nicht bei Charm. So dumm ist Reanne dann auch wieder nicht.
    „Nein, nein“, verteidigt Gus seine Exfrau. „Sie hat nur angerufen, um zu fragen, wie es uns geht.“
    „Sie hat mich erwähnt?“ Charm ist skeptisch.
    „Ja, hat sie.“ Mit zitternder Hand führt Gus die Kolache wiederan seine Lippen. Sein Gesicht ist blass. Er hat versucht, sich zu rasieren, dabei aber mehrere Stoppeln an seinem Hals vergessen. „Sie hat gefragt, wie es dir geht, wie die Schule läuft, was es Neues gibt.“
    „Was hast du ihr gesagt?“, fragt Charm beinahe ängstlich. Sie mag es nicht, wenn ihre Mutter Einzelheiten aus ihrem Leben erfährt. Je weniger sie weiß, desto weniger kann sie gegen Charm verwenden.
    „Ich hab

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