Vermächtnis des Schweigens (German Edition)
noch dazu eines wie Brynn, ertragen sollte. Ich betete, dass sie um ihretwillen niemandem erzählt hatte, wie sie mir bei der Geburt geholfen hatte. Es gab keinen Grund, warum wir beide uns Ärger für etwas einhandeln sollten, das ganz allein mein Fehler war. Als ich vorsichtig auf den Rücksitz des Streifenwagens rutschte, konnte ich Brynns entsetzliches Weinen hören.
Seitdem habe ich Brynn weder gesehen noch mit ihr gesprochen.
Im Streifenwagen wurde ich ohnmächtig, sodass unser erster Halt das Krankenhaus war, wo ich mit dreißig Stichen genäht wurde und die nächsten drei Tage an einem Tropf voller Antibiotikum hing. Die Art, wie die Schwestern und Ärzte mich während meines Krankenhausaufenthalts ansahen, war neu fürmich. Jeder kümmerte sich korrekt um mich; sie alle waren viel zu professionell, um es nicht zu tun. Aber es gab keine sanften Berührungen, keine kühlen Hände, die sich auf meine Stirn legten, kein Aufschütteln der Kissen. Nur Wut und Abscheu. Angst. Der anfängliche Schock meiner Eltern darüber, dass ich von der Polizei abgeholt worden war, wurde durch glühenden Zorn ersetzt. „Lächerlich“, stieß meine Mutter hysterisch hervor, als der weibliche Detective, der mich im Krankenhaus verhörte, fragte, ob ich es war, die das Baby in den Fluss geworfen hatte. Ich antwortete nicht.
„Allison“, forderte meine Mutter. „Sag ihnen, dass das ein großes Missverständnis ist.“
Ich schwieg noch immer. Die Polizistin wollte wissen, warum es in der Mülltonne in der Garage einen schwarzen Sack voller blutiger Handtücher gab. Ich sagte immer noch nichts. Sie fragte, wie es sein konnte, dass man mich hatte nähen müssen und aus meinen prallen Brüsten Milch tropfte.
„Allison, sag ihnen, dass du das nicht warst“, befahl mein Vater.
Endlich sprach ich. „Ich glaube, ich brauche einen Anwalt.“
Die Polizistin zuckte mit den Schultern. „Das ist vermutlich eine gute Idee. Wir haben die Plazenta gefunden.“ Ich schluckte hart und schaute auf meine Hände. Sie waren rot und geschwollen und sahen gar nicht aus, als gehörten sie zu mir. „In einem Kissenbezug ganz unten in der Mülltonne.“ Sie drehte sich um und schaute meinen Vater an. „In Ihrer Mülltonne. Rufen Sie Ihren Anwalt an.“ Als sie das Zimmer verließ, wandte sie sich noch einmal an mich und sagte sanft: „Hat sie geschrien, Allison? Hat dein Baby geschrien, als du es ins Wasser geworfen hast?“
„Raus hier!“, kreischte meine Mutter, was gar nicht ihrer sonst so gefassten Art entsprach. „Gehen Sie. Sie haben kein Recht, hierherzukommen und uns derart aufzuregen.“
„Also wenn Sie mich fragen“, gab die Polizistin mit einem Nicken in meine Richtung zurück, „sieht sie gar nicht so aufgebracht aus.“
CHARM
Gus wird zusehends schwächer. „Wo ist der Kleine?“, fragt er, als Charm aus dem Krankenhaus kommt.
„Er ist in Sicherheit“, versichert sie ihm. „Weißt du noch, er ist jetzt bei dieser netten Familie. Sie kümmern sich gut um ihn.“
Charm hört ein Klopfen an der Vordertür. Sie nimmt den Topf mit dem Kartoffelpüree vom Herd und geht, um zu öffnen. Jane steht auf der Treppe, ihr schwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, in der Hand ihren Trickbeutel, wie sie ihn nennt.
„Hey, wie geht’s?“, fragt sie und tritt ein. „Der Herbst liegt in der Luft.“ Sie zittert leicht, und Charm nimmt ihr den Mantel ab.
„Ich weiß, und dabei haben wir erst Ende August. Aber uns geht es gut“, beantwortet Charm die Eingangsfrage der Pflegerin. „Gus ist nebenan und schaut fern.“
„Ah, Futter für den Kopf.“ Jane lächelt.
Charm zuckt mit den Schultern. „Es hilft, die Zeit zu vertreiben.“
„Wie geht es ihm?“, fragt Jane und wird ernst.
„Ganz gut. Manche Tage sind besser als andere.“
„Und bei dir? Wie läuft die Schule? Bekommst du alles auf die Reihe? Es ist eine ganze Menge Verantwortung für eine Einundzwanzigjährige, aufs College zu gehen und sich um einen alten Mann zu kümmern.“
„Hey, nenn Gus nicht alt, das verletzt seine Gefühle. Wir kommen zurecht.“ Charm versteift sich ein wenig. Sie weiß, worauf Jane hinauswill. Sie bringt das Thema Krankenhaus oder Pflegeeinrichtung beinahe jedes Mal auf, wenn sie vorbeikommt. „Ich rufe ihn drei Mal am Tag an und komme mittags vorbei, um nach ihm zu sehen.“
„Ich weiß, ich weiß.“ Jane hebt die Hand und versucht, Charm zu beruhigen. „Du machst das toll. Ich meine ja nur, dass es Möglichkeiten
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