Vermächtnis
gefährliche Raubtiere, anders als dort ist die Landschaft aber hügelig, so dass man größere Entfernungen überblicken kann: In einem Lager der Hadza können Eltern die Kinder auch dann im Auge behalten, wenn sie weiter entfernt spielen. In den Regenwäldern Neuguineas herrscht eine mäßig hohe Sicherheit: Gefährliche Säugetiere gibt es nicht, viele Schlangen sind zwar giftig, aber man begegnet ihnen nur selten, und die größten Gefahren gehen von anderen Menschen aus. Entsprechend häufig sehe ich, wie Kinder in Neuguinea allein spielen, herumlaufen oder Kanu fahren, und meine einheimischen Freunde erzählen mir, wie sie auch selbst als Kinder viel Zeit allein im Wald verbracht haben.
Zu den ungefährlichsten Umgebungen gehören die australischen Wüsten und die Wälder Madagaskars. In jüngerer Zeit beherbergen die Wüsten Australiens keine Säugetiere mehr, die Menschen gefährlich werden könnten. Wie Neuguinea, so steht auch Australien in dem Ruf, die Heimat von Giftschlangen zu sein, aber wenn man nicht nach ihnen sucht, sieht man sie nur selten. Die Kinder der Martu aus der australischen Wüste begeben sich regelmäßig ohne Aufsicht durch Erwachsene auf Entdeckungsausflüge. Auch die Wälder Madagaskars sind nicht die Heimat großer Säugetiere, und es gibt nur wenige giftige Pflanzen und Tiere; hier können Kinder also ebenfalls ohne Gefahr in unbeaufsichtigten Gruppen losziehen, um Yamswurzeln auszugraben.
Altersgemischte Spielgruppen
In den dünn besiedelten Pioniergebieten Nordamerikas war die Einklassenschule allgemein verbreitet. Da im Umkreis einer Tagesreise nur wenige Kinder wohnten, konnten sich die Schulen nur einen einzigen Raum und einen einzigen Lehrer leisten, so dass alle Kinder unterschiedlichen Alters gemeinsam unterrichtet werden mussten. Heute ist die Zwergschule in den Vereinigten Staaten eine romantische Erinnerung an frühere Zeiten; eine Ausnahme bilden nur ländliche Gebiete mit niedriger Bevölkerungsdichte. In allen Städten und auch in ländlichen Gebieten mit mittlerer Bevölkerungsdichte lernen und spielen die Kinder nach Altersgruppen getrennt. Die Schulklassen sind nach dem Alter eingeteilt, so dass die meisten Klassenkameraden bis auf ein Jahr mehr oder weniger gleich alt sind. In den Wohngebieten erfolgt zwar keine so strenge Trennung der Spielgruppen nach dem Alter, in dicht besiedelten Regionen großer Gesellschaften wohnen aber so viele Kinder in fußläufiger Entfernung voneinander, dass Zwölfjährige in der Regel nicht mit Dreijährigen spielen. Die Regel der getrennten Altersgruppen gilt nicht nur in modernen Gesellschaften mit Staatsregierungen und Schulen, sondern auch in bevölkerungsreichen vorstaatlichen Gesellschaften, und das aus dem gleichen demographischen Grund: Viele Kinder ähnlichen Alters leben in enger Nachbarschaft. In vielen afrikanischen Häuptlingstümern beispielsweise gibt oder gab es Altersgruppen: Kinder ähnlichen Alters wurden zur gleichen Zeit dem Initiationsritus unterzogen und beschnitten, und (bei den Zulu) bildeten gleichaltrige Jungen militärische Einheiten.
In Kleingesellschaften führt die demographische Realität zu anderen Folgen, die an die Zwergschulen erinnern. Zu einer typischen Horde von Jägern und Sammlern, die insgesamt aus rund 30 Personen besteht, gehört im Durchschnitt nur ungefähr ein Dutzend Kinder beiderlei Geschlechts im vorpubertären Alter. Es ist deshalb unmöglich, zum Spielen getrennte Altersgruppen aus jeweils vielen Kindern zusammenzustellen, wie es für große Gesellschaften typisch ist. Stattdessen bilden alle Kinder in der Horde eine einzige gemischtgeschlechtliche und altersgemischte Spielgruppe. Diese Beobachtung gilt für alle Kleingesellschaften von Jägern und Sammlern, die man untersucht hat.
In solchen altersgemischten Spielgruppen profitieren sowohl die älteren als auch die jüngeren Kinder vom Zusammensein. Die Kleineren werden nicht nur durch Erwachsene sozialisiert, sondern auch durch ältere Kinder, die ihrerseits die Erfahrung machen, für kleinere Kinder zu sorgen. Diese Erlebnisse der älteren Kinder sind teilweise eine Erklärung dafür, warum Jäger und Sammler bereits im Teenageralter zu selbstbewussten Eltern werden können. Eltern im Alter von unter 20 Jahren gibt es zwar auch in westlichen Gesellschaften in großer Zahl, und hier sind sie häufig nicht verheiratet; die optimalen Eltern sind solche Teenager im Westen aber nicht, weil sie noch unerfahren sind. In
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