Vermächtnis
und Sammlern nur selten vor, dass Leistungen gemessen werden und ein Sieger festgestellt wird. Stattdessen gehört es in Kleingesellschaften sehr häufig zu den Spielen, dass man teilt und die Kinder damit auf das Leben der Erwachsenen vorbereitet, in dem das Schwergewicht ebenfalls auf dem Teilen liegt, während man Konkurrenz möglichst zu verhindern versucht. Ein Beispiel ist das Spiel, eine Banane zu zerschneiden und zu teilen, über das Jane Goodall für das Volk der Kaulong in Neubritannien berichtete und das ich auf Seite 110 geschildert habe.
In der modernen amerikanischen Gesellschaft sind Zahl, Herkunft und behauptete Funktion der Spielzeuge ganz anders als in traditionellen Gesellschaften. Amerikanische Spielzeughersteller werben lautstark für sogenanntes Lernspielzeug, mit dem das sogenannte kreative Spielen gefördert werden soll (Abb. 18 ) . Amerikanischen Eltern bringt man bei, daran zu glauben, dass fertig produzierte, im Laden gekaufte Spielzeuge für die Entwicklung ihrer Kinder wichtig sind. In traditionellen Gesellschaften dagegen gibt es Spielzeug kaum oder überhaupt nicht, und die Spielzeuge, die existieren, werden entweder vom Kind selbst oder von seinen Eltern hergestellt. Ein amerikanischer Freund, der in seiner Kindheit in einer ländlichen Region Kenias gelebt hatte, erzählte mir, wie erfindungsreich manche seiner afrikanischen Freunde waren: Unter anderem bauten sie aus Stöcken und Schnüren kleine Autos mit Rädern und Achsen (Abb. 17 ) . Eines Tages versuchten mein amerikanischer Freund und sein kenianischer Bekannter, zwei Goliathkäfer vor einen selbst gebauten Spielzeugwagen zu spannen. Einen ganzen Nachmittag brachten die beiden Jungen mit ihrem Spiel zu, aber trotz stundenlanger Bemühungen konnten sie die beiden Käfer nicht dazu veranlassen, koordiniert in die gleiche Richtung zu ziehen. Als mein Freund im Teenageralter in die Vereinigten Staaten zurückkehrte und zusah, wie amerikanische Jungen und Mädchen mit ihrem im Laden gekauften Plastik-Fertigspielzeug spielten, gewann er den Eindruck, dass die Kinder hier weniger kreativ waren als in Kenia.
In modernen Staatsgesellschaften gibt es eine formelle Ausbildung: In Schulen und Nachhilfeschulen bringen speziell ausgebildete Lehrkräfte den Kindern einen von den Schulbehörden festgelegten Stoff bei, und diese Tätigkeit ist vom Spielen getrennt. In Kleingesellschaften ist Ausbildung keine eigenständige Aktivität, sondern Kinder lernen, indem sie ihre Eltern und andere Erwachsene begleiten, und indem sie Geschichten hören, die von Erwachsenen und älteren Kindern am Lagerfeuer erzählt werden. So schreibt beispielsweise Nurit Bird-David über das südindische Volk der Nayaka: »Zu der Zeit, zu der Kinder in modernen Gesellschaften in die Schule kommen, also ungefähr mit sechs Jahren, gehen die Kinder der Nayaka selbständig auf die Jagd nach Kleintieren, sie besuchen andere Familien und bleiben dort und sind frei von der Aufsicht durch ihre eigenen Eltern, allerdings nicht unbedingt durch Erwachsene … Zusätzlich findet der Unterricht auf sehr subtile Weise statt. Formelle Unterweisung und Lernen gibt es nicht – keine Klassen, keine Prüfungen, keine kulturell festgeschriebenen Orte [Schulen], in denen Wissenspakete aus dem Zusammenhang herausgelöst von einer Person zur anderen weitergegeben werden. Wissen ist untrennbar mit dem Sozialleben verbunden.«
Ein weiteres Beispiel sind die afrikanischen Mbuti-Pygmäen, die von Colin Turnbull studiert wurden. Ihre Kinder spielen in Nachahmung der Eltern mit einem winzigen Bogen und Pfeilen, einem Streifen eines Jagdnetzes und einem kleinen Korb; sie bauen ein kleines Haus, fangen Frösche und laufen einem Großelternteil hinterher, der mitspielt und so tut, als wäre er eine Antilope. »Für Kinder ist das Leben eine einzige lange Ausgelassenheit, die von einer gesunden Dosis aus Schlägen und Ohrfeigen unterbrochen wird … und eines Tages stellen sie fest, dass die Spiele, die sie immer gespielt haben, keine Spiele mehr sind, sondern die Wirklichkeit, denn jetzt sind sie erwachsen geworden. Die Jagd ist jetzt echte Jagd; wenn sie auf Bäume klettern, dann um ernsthaft unzugänglichen Honig zu beschaffen; ihre Akrobatik auf der Schaukel wiederholt sich nahezu täglich in anderer Form bei der Jagd auf schwer greifbare Tiere oder wenn sie einem boshaften Waldbüffel aus dem Weg gehen müssen. Es ist ein derart allmählicher Übergang, dass sie die Veränderung
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