Vermächtnis
Kleingesellschaften dagegen haben Teenager, die Eltern werden, zuvor bereits viele Jahre lang kleinere Kinder versorgt (Abb. 38 ) .
Als ich beispielsweise einmal einige Zeit in einem abgelegenen Dorf in Neuguinea wohnte, wurde ein zwölfjähriges Mädchen namens Darcy dazu abgestellt, für mich zu kochen. Zwei Jahre später kehrte ich in das Dorf zurück und erfuhr, dass Darcy in der Zwischenzeit verheiratet war und jetzt, mit 14 Jahren, das erste Kind hatte. Zuerst dachte ich: Das ist doch sicher ein Irrtum mit ihrem Alter – ist sie nicht in Wirklichkeit 16 oder 17 Jahre alt? Aber Darcys Vater war im Dorf der Mann, der die Aufzeichnungen über Geburten und Todesfälle führte, und er hatte selbst ihr Geburtsdatum eingetragen. Dann dachte ich: Wie kann ein Mädchen von nur 14 Jahren eine tüchtige Mutter sein? In den Vereinigten Staaten wäre es sogar gesetzlich verboten, dass ein Mann ein derart junges Mädchen heiratet. Aber Darcy ging offensichtlich sehr selbstsicher mit ihrem Kind um und verhielt sich nicht anders als die älteren Mütter im Dorf. Schließlich wurde mir klar, dass Darcy bereits jahrelange Erfahrung in der Versorgung kleinerer Kinder hatte. Mit 14 Jahren war sie als Mutter besser qualifiziert als ich mit 49 Jahren, als ich Vater wurde.
Ein weiteres Phänomen, das durch die altersgemischten Spielgruppen beeinflusst wird, ist die voreheliche Sexualität: Über sie wird aus allen gut untersuchten Kleingesellschaften von Jägern und Sammlern berichtet. In den meisten großen Gesellschaften gelten manche Aktivitäten für Jungen und andere für Mädchen als geeignet. Jungen und Mädchen sollen getrennt voneinander spielen, und ihre Zahl ist groß genug, dass gleichgeschlechtliche Spielgruppen entstehen können. In einer Horde jedoch, in der es nur ein Dutzend Kinder aller Altersstufen gibt, ist das unmöglich. Da Kinder von Jägern und Sammlern bei ihren Eltern entweder im gleichen Bett oder in der gleichen Hütte schlafen, gibt es keine Privatsphäre. Kinder sehen ihren Eltern beim Sex zu. Wie Malinowski auf den Trobriand-Inseln erfuhr, trafen die Eltern dort keine besonderen Vorkehrungen, damit ihre Kinder sie nicht beim Geschlechtsverkehr beobachten konnten: Sie schimpften nur mit dem Kind und sagten ihm, es solle sich eine Matte über den Kopf legen. Wenn Kinder alt genug sind, um mit anderen Kindern Spielgruppen zu bilden, denken sie sich Spiele aus, mit denen sie die verschiedenen Tätigkeiten der Eltern nachahmen; deshalb gibt es natürlich auch Sex-Spiele, bei denen der Geschlechtsverkehr simuliert wird. In solche sexuellen Spiele greifen die Erwachsenen entweder überhaupt nicht ein, oder – so bei den !Kung – die Eltern versuchen sie zu verhindern, wenn sie offenkundig werden, insgesamt gelten sexuelle Experimente von Kindern aber als unvermeidlich und normal. Die !Kung-Eltern haben es selbst nicht anders gemacht, als sie Kinder waren, und die Kinder sind häufig außer Sichtweite, so dass die Eltern ihre Sex-Spiele nicht sehen. Viele Gesellschaften, darunter die Siriono, die Piraha und die Hochlandbewohner im Osten Neuguineas, lassen auch offene sexuelle Spiele zwischen Erwachsenen und Kindern zu.
Kinderspiel und Ausbildung
Nachdem ich die erste Nacht in einem Dorf im Hochland Neuguineas verbracht hatte, hörte ich morgens beim Aufwachen das Geschrei von Jungen aus dem Dorf, die vor meiner Hütte spielten. Sie spielten aber nicht »Himmel und Hölle« oder mit Spielzeugautos, sondern sie ahmten einen Stammeskrieg nach. Jeder Junge hatte einen kleinen Bogen und einen Köcher voller Pfeile mit Spitzen aus Wildgras, die zwar wehtun, einen Jungen aber nicht verletzen. Die Kinder bildeten zwei Gruppen, schossen Pfeile aufeinander ab, und ein Junge in jeder Gruppe rückte bis dicht zu einem »Feind« vor, bevor er einen Pfeil auf ihn anlegte; gleichzeitig hüpften und rannten sie selbst hin und her, um nicht getroffen zu werden, und zogen sich schnell zurück, um einen neuen Pfeil aufzulegen. Es war die realistische Nachahmung eines echten Krieges im Hochland, nur waren die Pfeile nicht tödlich, die Teilnehmer waren keine Männer, sondern Jungen, und sie wohnten im selben Dorf und lachten dabei.
Dieses »Spiel«, das mich mit dem Leben im Hochland von Neuguinea bekannt machte, ist typisch für die sogenannten Ausbildungsspiele der Kinder auf der ganzen Welt. Viele Aspekte im Spiel von Kindern sind Nachahmungen von Tätigkeiten der Erwachsenen, die von den Kindern selbst
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