Vermächtnis
bezeichnen, beispielsweise durch Erdrosseln, Erstechen oder lebendiges Begraben. Alte Tschuktschen, die sich freiwillig zum Tod entschlossen, wurden bejubelt, und man versicherte ihnen, sie würden im Jenseits einen der besten Wohnorte erhalten. Beim Volk der Kaulong im Südwesten von Neubritannien war es noch bis in die 1950 er Jahre allgemein üblich, dass eine Witwe unmittelbar nach dem Tod ihres Mannes von ihren Brüdern oder ihrem Sohn erdrosselt wurde. Diese Tat war eine Verpflichtung – für den, der sie ausführte, war sie zwar emotional erschütternd, es galt aber als Schande, sich darum zu drücken. Ein Kaulong beschrieb gegenüber Jane Goodale, wie seine Mutter ihn erniedrigt hatte, damit er es tat: »Als ich zögerte, stand meine Mutter auf und sprach so laut, dass alle es hören konnten; sie sagte, ich würde nur deshalb zögern, weil ich mit ihr schlafen wolle.« Auf den Banks-Inseln baten alte und kranke Menschen ihre Freunde, ihrem Leiden ein Ende zu setzen, indem sie sie lebendig begruben, und die Freunde kamen der Bitte aus Freundlichkeit nach: »In Mota begrub ein Mann seinen Bruder, der wegen einer Grippe äußerst schwach war; aber er [der Überlebende] häufte die Erde nur lose über seinen [des Opfers] Kopf, weinte, ging von Zeit zu Zeit hin und fragte ihn, ob er noch am Leben sei.«
Die letzte weitverbreitete Methode besteht darin, das Opfer gewaltsam zu töten, ohne dass es selbst dabei mitwirkt oder zustimmt. Auch dazu wird das Opfer erdrosselt oder lebendig begraben, oder es wird erstickt, erstochen, mit einem Axthieb auf den Kopf oder durch Brechen von Genick oder Rücken getötet. Ein Ache-Indianer, den Kim Hill und A. Magdalena Hurtado befragten, beschrieb seine Methode zur Tötung älterer Frauen so (wie bereits erwähnt, ließ man alte Männer stattdessen weggehen): »Ich habe gewohnheitsmäßig alte Frauen getötet. Meine Tanten habe ich umgebracht, wenn sie sich noch bewegt haben (am Leben waren) … Ich bin auf sie getreten, dann waren sie alle tot, da unten am großen Fluss … Ich habe nicht gewartet, bis sie ganz tot waren, wenn ich sie begraben habe. Wenn sie sich noch bewegt haben, habe ich ihnen [den Hals oder Rücken] gebrochen … Ich würde alte Frauen nicht versorgen; ganz allein würde ich sie mit meinem Bogen erstechen.«
Auf solche Berichte von Ehepartnern, Kindern, Geschwistern oder anderen Gruppenmitgliedern, die einen alten oder kranken Menschen töten oder aussetzen, reagieren wir in der Regel mit Entsetzen – genau wie auf die Berichte in Kapitel 5 , dass eine Mutter ihr Neugeborenes tötet, wenn es ein Zwilling ist oder eine Fehlbildung trägt. Aber genau wie in diesen Fällen des Säuglingsmordes müssen wir uns fragen: Was kann eine Nomadengesellschaft oder eine Gesellschaft, in der die Nahrung nicht für die ganze Gruppe reicht, sonst mit ihren älteren Menschen machen? Die Opfer haben während ihres ganzen Lebens zugesehen, wie alte oder kranke Gruppenmitglieder ausgesetzt oder getötet wurden, und haben das Gleiche vermutlich bereits ihren eigenen Eltern angetan. Es ist die Form des Todes, mit der sie rechnen, und in vielen Fällen wirken sie daran mit. Wir haben Glück, dass wir nicht vor dem gleichen Martyrium als Opfer, Selbstmordhelfer oder Mörder stehen, weil das Schicksal es uns vergönnt hat, in einer Gesellschaft mit Lebensmittelüberschüssen und medizinischer Versorgung zu leben. Über den japanischen Admiral Kurita, der in Kriegszeiten zwischen zwei gleichermaßen entsetzlichen Handlungsweisen wählen musste, schrieb Winston Churchill: »Wer ein ähnliches Martyrium erduldet hat, mag über ihn richten.« Vor einem ähnlichen Dilemma dürften auch viele Leser dieses Buches stehen oder gestanden haben, wenn sie entscheiden müssen, ob sie dem behandelnden Arzt eines betagten oder kranken Elternteils angesichts des gesundheitlichen Verfalls sagen sollen, dass es an der Zeit ist, weitere aggressive medizinische Eingriffe zu beenden oder nur noch Schmerzmittel, Beruhigungsmittel und palliative Pflege einzusetzen.
Nützlichkeit älterer Menschen
Welche nützlichen Dienste können ältere Menschen einer traditionellen Gesellschaft leisten? Aus der kaltschnäuzigen Sicht der Anpassung kann man sagen: Gesellschaften, in denen alte Menschen nach wie vor nützlich sind, werden besser gedeihen, wenn sie für diese älteren Menschen sorgen. Häufiger formulieren junge Menschen, die für ältere sorgen, ihre Gründe natürlich nicht unter dem
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