Vermächtnis
von Jugendkult und unserer negativen Einstellung gegenüber dem Alter. Dass in der Werbung für alkoholfreie Getränke keine 70 -jährigen Models eingesetzt werden, ist nicht weiter schlimm; schlimm ist es aber, dass ältere Bewerber in Einstellungsgesprächen regelmäßig übergangen werden und dass ältere Patienten angesichts begrenzter Gesundheitsetats eine niedrigere Priorität genießen. Die Werbung für alkoholfreie Getränke oder Bier, die nicht nur auf junge, sondern auch auf alte Zuschauer abzielt, macht außerdem deutlich, dass eine negative Einstellung gegenüber dem Alter nicht nur unter jungen Amerikanern verbreitet ist, sondern auch von den Älteren selbst verinnerlicht wurde. Wie sich in Umfragen von Louis Harris and Associates gezeigt hat, halten die Amerikaner ältere Menschen für gelangweilt, engstirnig, unselbständig, isoliert, einsam, vernachlässigt, altmodisch, passiv, arm, sesshaft, sexuell inaktiv, krank, unaufmerksam, unproduktiv, von einer krankhaften Todesangst und der Angst vor Verbrechen besessen. Der allgemeinen Meinung zufolge durchleben sie die schlimmsten Jahre ihres Lebens und verbringen ihre Zeit vorwiegend mit Schlafen, Herumsitzen oder nostalgischer Schwärmerei über die Vergangenheit. Solche Ansichten wurden von älteren und jüngeren Befragten gleichermaßen geäußert, obwohl die befragten Älteren gleichzeitig erklärten, sie selbst würden nicht diesen Klischees entsprechen, die für den Durchschnitt der anderen älteren Menschen gelten.
Gesellschaftliche Regeln
Wir haben jetzt mehrere zusammenhängende Faktoren betrachtet, die Einfluss darauf haben, ob eine Gesellschaft sich besser oder schlechter um ihre älteren Menschen kümmert: die Möglichkeiten der Gesellschaft, sie zu tragen oder zu ernähren, ihre Nützlichkeit und die gesellschaftlichen Werte, die teilweise ein Spiegelbild dieser Nützlichkeit darstellen, teilweise aber auch unabhängig davon sind. Aber das alles sind tieferliegende Erklärungen, die im Rahmen der praktischen, alltäglichen Entscheidungen im Zusammenhang mit älteren Menschen kaum einmal erörtert werden, beispielsweise wenn es darum geht, ob man dem Opa ein schönes Steak von der heute getöteten Antilope abschneiden soll, auch wenn er selbst nicht mehr auf die Jagd gehen kann. Der Enkel, der die Antilope zerlegt, beachtet dabei kein allgemeines Prinzip letzter Werte und denkt nicht: »Du weißt noch, was man nach dem hungikengi essen kann, also gebe ich dir zur Belohnung dieses Steak.« Solche praktischen Entscheidungen werden vielmehr entsprechend den gesellschaftlichen Regeln getroffen, die darüber bestimmen, was man in bestimmten Situationen tut; in ihnen spiegeln sich letztlich Nützlichkeit und Werte wider, aber sie schaffen die Möglichkeit, eine Antilope schnell zu zerlegen, ohne philosophische Diskussionen über hungikengis führen zu müssen.
Es gibt eine Vielzahl solcher Regeln; sie sind in verschiedenen Gesellschaften unterschiedlich und betreffen ein breites Spektrum von Situationen. Die Regeln verschaffen den Älteren die Möglichkeit, sich bestimmter Ressourcen zu bedienen, anderer aber nicht. Diese Regeln sind unter den Jüngeren anerkannt: Sie geben gegenüber den Älteren nach und lassen zu, dass sie sich die Ressourcen nehmen, auch wenn in dieser Hinsicht ein eindeutiger Interessenkonflikt zwischen Jüngeren und Älteren besteht und selbst wenn die Jüngeren stark genug wären, um die Ressourcen für sich zu behalten. Sie tun es nicht, sondern sind bereit, so lange zu warten, bis auch sie alt sind und die anderen sich ihnen unterwerfen. Von den vielen denkbaren Beispielen möchte ich nur drei nennen.
Ein einfacher Fall sind die Lebensmitteltabus, die dafür sorgen, dass bestimmte Lebensmittel den Älteren vorbehalten sind. Dahinter steht die (von Jung und Alt gleichermaßen gehegte) Überzeugung, solche Lebensmittel seien für junge Menschen gefährlich, ältere seien aber im Laufe der Zeit gegen die Gefahr immun geworden. Jede Gesellschaft hat ihre eigenen Nahrungstabus, die anderen willkürlich erscheinen, insgesamt sind Tabus aber in traditionellen Gesellschaften weit verbreitet. Beispielsweise wurden junge Omaha-Indianer, die Tierknochen aufbrechen und das darin enthaltene fette Knochenmark essen wollten, von ihren älteren Stammesbrüdern gewarnt, sie würden sich danach den Knöchel verstauchen, und nur alte Menschen könnten das Knochenmark ohne Gefahr verzehren. Bei den Iban auf Borneo aßen die alten Männer
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