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Vermächtnis

Vermächtnis

Titel: Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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oder Spaß daran hat, oder mit dem man sich furchtlos gibt und sich bemüht, die eigenen Ängste zu verbergen. Das gleiche Fehlen der westlichen Macho-Einstellung fiel Marjorie Shostak auch bei den !Kung auf: »Die Jagd ist oftmals gefährlich. Die !Kung sehen der Gefahr mutig ins Auge, aber sie streben nicht danach und gehen keine Risiken ein, nur um ihren Mut unter Beweis zu stellen. Gefährliche Situationen aktiv zu vermeiden gilt nicht als feige oder unmännlich, sondern als klug. Außerdem wird auch von kleinen Jungen nicht erwartet, dass sie ihre Angst besiegen und wie erwachsene Männer handeln. Über unnötige Risiken sagen die !Kung: ›Aber dabei könnte doch jemand ums Leben kommen!‹«
    Im weiteren Verlauf beschreibt Shostak, wie ein zwölfjähriger !Kung-Junge namens Kashe, sein Vetter und sein Vater von einer erfolgreichen Jagd berichten. Der Vater hatte dabei mit dem Speer einen großen Spießbock erlegt, eine Antilope, die sich mit langen, nadelspitzen Hörnern verteidigt. Als Shostak von Kashe wissen wollte, ob er seinem Vater beim Töten des Tieres geholfen habe, lachte der Junge und erwiderte stolz: »Nein, ich habe oben in einem Baum gesessen!« »Sein Lächeln wurde zu einem fröhlichen Lachen. Verwirrt fragte ich noch einmal, und er wiederholte, er und sein Vetter seien auf einen Baum geklettert, sobald das Tier stehen geblieben sei und sich verteidigt habe. Ich neckte ihn und sagte, alle wären immer noch hungrig, wenn man ihm und seinem Vetter das Tier überlassen hätte. Darauf lachte er wieder und sagte: ›Ja, aber wir hatten solche Angst!‹ Nichts deutete darauf hin, dass ihm sein Verhalten, das man in unserer Kultur als Mangel an Mut angesehen hätte, peinlich war oder dass er es hätte erklären müssen … Er würde noch viel Zeit haben, zu lernen, wie man gefährlichen Tieren gegenübertritt und sie tötet, und für ihn (und auch für seinen Vater, soweit man es an dessen Gesichtsausdruck sehen konnte) bestand kein Zweifel, dass er es eines Tages auch lernen würde. Als ich den Vater fragte, strahlte er: ›Oben auf dem Baum? Natürlich. Das sind doch noch Kinder. Sie hätten sich verletzen können.‹«
    Neuguineer, !Kung und die Angehörigen anderer traditioneller Völker erzählen sich gegenseitig lange Geschichten über die Gefahren, die ihnen begegnet sind; solche Berichte dienen nicht nur in Abwesenheit von Fernsehen und Büchern der Unterhaltung, sondern sie haben auch erzieherischen Wert. Einige Beispiele aus den Lagerfeuergesprächen der Ache geben Kim Hill und A. Magdalena Hurtado wieder: »Abends, wenn die Mitglieder der Horde die Ereignisse des Tages mit früheren Geschehnissen in Verbindung bringen, werden manchmal Geschichten vom Unfalltod erzählt. Die Kinder sind von solchen Berichten gefesselt und lernen daraus wahrscheinlich unschätzbar wertvolle Lektionen über die Gefahren des Waldes, die ihnen selbst beim Überleben helfen. Ein Junge starb, weil er vergessen hatte, einer Palmenkäferlarve den Kopf abzuknipsen, bevor er sie schluckte. Die Larve klammerte sich mit ihren Kiefern in seinem Rachen fest, und er erstickte. Ein halbwüchsiger Junge entfernte sich auf der Jagd mehrmals zu weit von den erwachsenen Männern, wurde nicht wieder gesehen und einige Tage später tot aufgefunden. Ein Jäger, der den Bau eines Gürteltieres ausgrub, fiel kopfüber in das Loch und erstickte. Ein anderer stürzte von einem Baum aus fast 40  Metern Höhe in den Tod, als er sich einen Pfeil wieder holen wollte, den er auf einen Affen abgeschossen hatte. Ein kleines Mädchen fiel in ein Loch, das ein vermoderter Wollbaum hinterlassen hatte, und brach sich das Genick. Mehrere Männer wurden von Jaguaren angegriffen. Manche ihrer Überreste wurden gefunden, andere waren einfach verschwunden. Ein Junge wurde im Lager nachts im Schlaf von einer Giftschlange in den Kopf gebissen. Er starb am nächsten Tag. Eine alte Frau wurde durch einen umstürzenden Baum getötet, den ein halbwüchsiges Mädchen als Brennholz gefällt hatte. Das Mädchen war von da an als ›Stürzendes Brennholz‹ bekannt, ein Spitzname, der sie täglich an ihre Übeltat erinnerte. Ein Mann wurde von einem Nasenbären gebissen und starb später an der Verletzung. Bei einem ähnlichen Vorfall wurde ein Jäger 1985 ins Handgelenk gebissen. Seine Schlagadern und Venen waren verletzt, und er wäre sicher gestorben, hätte er nicht moderne medizinische Versorgung erhalten. Ein kleines Mädchen fiel in einen Fluss, als

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