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Vermächtnis

Vermächtnis

Titel: Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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es ihn auf einer Baumstammbrücke überquerte, und wurde von der Strömung mitgerissen … Und ein Ereignis schließlich schien wirklich ein ausgesprochen unglücklicher Zufall zu sein: Sechs Menschen aus einer Horde wurden getötet, als ein Blitz während eines Unwetters im Lager einschlug.«
    Gewalt unter Menschen
    Was Häufigkeit und Formen des Todes durch von Menschen ausgehende Gewalt betrifft, bestehen zwischen traditionellen Gesellschaften große Unterschiede; in der Regel ist Gewalt entweder die häufigste oder (nach Krankheiten) die zweithäufigste Todesursache. Ein wichtiger Faktor, der sich auf die Unterschiede auswirkt, ist das Ausmaß staatlicher oder sonstiger äußerer Einflüsse, durch die Gewalt unterdrückt oder verhindert wird. Die Arten der Gewalttaten kann man ein wenig willkürlich in zwei Kategorien einteilen: Krieg (beschrieben in den Kapiteln  3 und 4 ) und Mord. Krieg ist dabei in seiner eindeutigsten Form definiert als kollektiver Kampf zwischen verschiedenen Gruppen, Mord ist dagegen die Tötung Einzelner innerhalb einer Gruppe. Die Zweiteilung wird jedoch unscharf, wenn man entscheiden muss, ob man Tötungsdelikte zwischen Nachbargruppen, die normalerweise freundschaftlich verbunden sind, als gemeinschaftlichen Mord oder als Krieg zwischen den Gruppen einstufen soll. Weitere Zweideutigkeiten betreffen die Frage, welche Art der Tötung man einbeziehen soll: In den veröffentlichten Aufstellungen über die Gewalt bei den Ache finden sich auch Säuglings- und Greisenmord, die in Berichten über die !Kung nicht aufgeführt sind, außerdem haben verschiedene Autoren unterschiedliche Ansichten über die Häufigkeit des Säuglingsmordes bei den !Kung. Auch die Auswahl der Opfer sowie die Beziehungen zwischen Opfer und Mörder sind von Gesellschaft zu Gesellschaft sehr unterschiedlich. Bei den Ache beispielsweise handelt es sich bei den Opfern von Gewalt meist um Säuglinge und Kinder, bei den !Kung dagegen sind vorwiegend erwachsene Männer betroffen.
    Die Untersuchungen zur Gewalt bei den !Kung sind aus mehreren Gründen aufschlussreich. Erste Berichte von Anthropologen beschrieben das Volk als friedlich und nicht gewalttätig, und ein populärwissenschaftliches Buch, das 1959 in der Frühzeit der modernen Studien an den !Kung erschien, trug sogar den Titel
The Harmless People
(»Das harmlose Volk«). Richard Lee, der in den 1960 er Jahren insgesamt drei Jahre bei den !Kung lebte, beobachtete 34  Kämpfe, die zu Schlägen führten, aber keine einzige Tötung, und Informanten erklärten ihm, es habe tatsächlich während dieser Jahre kein Tötungsdelikt gegeben. Erst nachdem Lee sich seit 14  Monaten in der Region aufgehalten hatte und seine Informanten besser kannte, waren sie bereit, mit ihm über frühere Morde zu sprechen. Als sie schließlich redeten, war Lee durch Gegenüberprüfung der Berichte verschiedener Informanten in der Lage, für 22  Tötungsdelikte aus der Zeit zwischen 1920 und 1969 eine verlässliche Liste mit Namen, Geschlecht und Alter der Mörder und Opfer, den Beziehungen zwischen Mördern und Opfern sowie den Umständen und Motiven, der Jahres- und Tageszeit sowie der verwendeten Waffen zusammenzustellen. In dieser Liste wurden Fälle von Säuglings- und Greisenmord nicht aufgeführt; Lee hielt sie für selten, aber Nancy Howells Gespräche mit !Kung-Frauen legen die Vermutung nahe, dass Säuglingsmorde tatsächlich stattfanden. Lee gelangte zu dem Schluss, die 22 Ereignisse auf seiner Liste seien sämtliche gewaltsamen Todesfälle, die sich in seinem Untersuchungsgebiet zwischen 1920 und 1969 ereignet hatten.
    Alle diese 22  Fälle von Tötung bei den !Kung kann man sicher als Morde und nicht als Krieg einstufen. In manchen Fällen lebten Opfer und Täter in demselben Lager, in anderen gehörten sie verschiedenen Lagern an, aber in keinem einzigen Fall war eine Gruppe von Menschen aus einem Lager darauf aus, eine Gruppe von Menschen aus einem anderen Lager zu töten und damit »Krieg« zu führen. Tatsächlich gab es den Berichten zufolge zwischen 1920 und 1969 in Lees Untersuchungsgebiet kein einziges Ereignis, das den Gedanken an einen Krieg nahelegen würde. Die !Kung erklärten allerdings, sie hätten früher Überfälle ausgeführt, die anscheinend den bezeugten »Kriegen« anderer traditioneller Völker ähnelten; diese hätten in der Generation der Großeltern der ältesten noch lebenden !Kung stattgefunden, also bevor die Tswana-Viehzüchter im 19

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