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Vermächtnis

Vermächtnis

Titel: Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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man speziell zu diesem Zweck hergestellt hatte. Wie bei den !Kung, so führten staatliche Eingriffe auch bei den Ache zu einem starken Rückgang der Gewalt: Seit 1977 , als sie zunehmend in Reservaten lebten und unter dem direkten oder indirekten Einfluss des Staates Paraguay standen, hörten die Tötungsdelikte unter erwachsenen Ache völlig auf, und die Zahl der Kinder- und Säuglingsmorde ging zurück.
    Wie schützen sich Menschen in traditionellen Gesellschaften ohne Staatsregierung und Polizei vor der ständig drohenden Gewalt? Die Antwort lautet zu einem großen Teil: Sie machen sich viele Formen der konstruktiven Paranoia zu eigen. So lautet eine weitverbreitete Regel, sich vor Fremden in Acht zu nehmen: Einen Fremden, den man im eigenen Territorium entdeckt, versucht man regelmäßig zu töten oder zu vertreiben, denn er ist möglicherweise gekommen, um das Gelände zu erkunden oder einen Angehörigen des Stammes zu töten. Eine andere Regel besagt, dass man immer mit Betrügereien angeblicher Verbündeter rechnen muss oder dass man (umgekehrt) vorbeugt und Betrug gegen potentiell unsichere Verbündete betreibt. Eine Taktik in der Kriegsführung der Yanomamo besteht beispielsweise darin, die Bewohner eines Nachbardorfes zu einem Festmahl einzuladen und sie dann, wenn sie ihre Waffen abgelegt haben und gerade essen, umzubringen. Wie Don Richardson berichtet, galt Betrug beim Volk der Sawi im Südwesten Neuguineas als Ideal: Statt einen Feind sofort zu töten, ist es besser, ihn von der eigenen Freundschaft zu überzeugen, ihn im Laufe mehrerer Monate mehrmals einzuladen und an den eigenen Mahlzeiten teilhaben zu lassen und sich dann an seinem Entsetzen zu weiden, wenn man kurz vor dem Mord zu ihm sagt: »Tuwiasonaimakaerin!« (Wir haben dich mit Freundschaft für das Schlachtfest gemästet!)
    Eine andere Taktik, mit der man die Gefahr von Angriffen vermindern kann, besteht darin, die Plätze für die Errichtung von Dörfern so zu wählen, dass man sie gut verteidigen kann oder einen guten Überblick über die Umgebung hat. Im Gebirge Neuguineas liegen Dörfer beispielsweise in der Regel auf Berggipfeln, und im Südwesten der Vereinigten Staaten waren viele Ansiedlungen aus der Spätphase der Anasazi nur über eine Leiter zugänglich, die man hochziehen und so den Eingang abriegeln konnte. Eine solche Lage zwingt zwar die Einwohner dazu, Wasser vom Fluss am Boden des tiefer gelegenen Tales über lange Strecken bergauf zu schleppen, sie bevorzugen aber diese Anstrengung gegenüber der Gefahr, in einer Siedlung unten im Tal am Fluss von einem Angriff überrascht zu werden. Wenn die Bevölkerungsdichte oder die Häufigkeit der Kämpfe zunimmt, wohnen die Menschen in der Regel nicht mehr in verstreut liegenden, ungeschützten Hütten, sondern sie bauen große, eingefriedete Dörfer, die sich verteidigen lassen.
    Gruppen schützen sich, indem sie ein Netzwerk von Bündnissen mit anderen Gruppen aufbauen, und Einzelpersonen verbünden sich mit anderen Einzelpersonen. Das ständige Reden, das mir in Neuguinea und anderen Besuchern in anderen traditionellen Gesellschaften aufgefallen ist, hat unter anderem den Zweck, so viel wie möglich über jeden Einzelnen im Bekanntenkreis in Erfahrung zu bringen und die Tätigkeiten der Menschen ständig zu überwachen. Besonders gute Informationsquellen sind Frauen, die in die eigene Gruppe hineingeboren und dann zwecks Eheschließung in eine andere Gruppe entsandt wurden, eine verbreitete, traditionelle Sitte, die als patrilokale Wohnortwahl bezeichnet wird (die Braut zieht in die Gruppe ihres Ehemannes, aber nicht der Ehemann in die Gruppe seiner Frau). Solche verheirateten Frauen warnen häufig die Blutsverwandten in ihrer Herkunftsgesellschaft, dass ihr Mann und andere angeheiratete Verwandte einen Angriff planen. Und wie die endlosen abendlichen Lagerfeuergespräche über Unfälle nicht nur der Unterhaltung dienen, sondern auch Kinder (und alle anderen) über Umweltgefahren aufklären sollen, so stellen auch endlose Gespräche über Überfälle und andere Menschen nicht nur eine spannende Unterhaltung dar, sondern sie machen die Zuhörer darauf aufmerksam, welche Gefahren von Menschen ausgehen.
    Krankheiten
    Krankheiten sind in traditionellen Gesellschaften entweder die wichtigste Gefahr für das Leben der Menschen (dies gilt beispielsweise für die Agta und die !Kung, wo sie für schätzungsweise 50 bis 86 beziehungsweise 70 bis 80  Prozent aller Todesfälle verantwortlich

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