Vermächtnis
waren), oder sie stehen in der Rangfolge der Todesursachen an zweiter Stelle nach der Gewalt (zum Beispiel bei den Ache, bei denen unter den Bedingungen des Lebens im Wald »nur« ein Viertel der Todesfälle auf Krankheiten zurückzuführen war). Man muss allerdings hinzufügen, dass mangelernährte Menschen anfälliger für Infektionen sind und dass deshalb auch Lebensmittelknappheit zu vielen Todesfällen beiträgt, bei denen eine Infektionskrankheit als Ursache genannt wird.
Welche Bedeutung die Krankheiten verschiedener Kategorien für traditionelle Völker haben, ist sehr unterschiedlich und hängt stark von der Lebensweise, der geographischen Lage und dem Alter ab. Am häufigsten sind Infektionskrankheiten in der Regel bei Säuglingen und Kleinkindern, wichtig bleiben sie aber in allen Altersstufen. In der Kindheit stehen Parasitenerkrankungen in ihrer Bedeutung mit den Infektionskrankheiten auf einer Stufe. Dabei sind parasitische Würmer (zum Beispiel Haken- und Bandwürmer) und von Insekten übertragene Protozoen (beispielsweise Malaria und der Erreger der Schlafkrankheit) für Völker in warmen, tropischen Klimazonen ein größeres Problem als für die Bewohner von Arktis, Wüsten und kühlen Gebirgsregionen, denn in einer solchen Umwelt können sowohl die Würmer selbst als auch die Insekten, die Protozoen übertragen, kaum überleben. Im höheren Lebensalter werden Verfallskrankheiten von Knochen, Gelenken und weichem Gewebe häufiger, darunter Arthritis, Osteoarthritis, Osteoporose, Knochenbrüche und Abnutzung von Zähnen. Traditionelle Völker, die im Vergleich zu modernen Stubenhockern ein körperlich wesentlich anstrengenderes Leben führen, sind für solche Verschleißkrankheiten bei gleichem Alter erheblich anfälliger. Auffällig selten oder überhaupt nicht vorhanden sind bei traditionellen Völkern alle Krankheiten, die in der Ersten Welt heute für die meisten Todesfälle sorgen: koronare Herzkrankheit und andere Formen der Arteriosklerose, Schlaganfall und andere Folgen von Bluthochdruck, Altersdiabetes und die meisten Formen von Krebs. Die Gründe für diese auffälligen Unterschiede zwischen dem Gesundheitszustand von Bewohnern der Ersten Welt und traditionellen Völkern werde ich in Kapitel 11 erörtern.
In der Ersten Welt ist die Bedeutung der Infektionskrankheiten als Todesursache erst in den letzten beiden Jahrhunderten stark zurückgegangen. Für diesen Wandel gibt es mehrere Gründe: Man lernte, die Bedeutung der Hygiene zu schätzen; staatliche Behörden installierten eine Versorgung mit sauberem Trinkwasser und führten Impfungen sowie weitere Maßnahmen des Gesundheitswesens ein; die wissenschaftlichen Kenntnisse über Mikroorganismen als Erreger von Infektionskrankheiten wuchsen und machten rational begründete Gegenmaßnahmen möglich; und schließlich wurden die Antibiotika entdeckt und entwickelt. Bei traditionellen Völkern erlaubte (und erlaubt noch heute) eine schlechte Hygiene die Übertragung von Infektions- und Parasitenkrankheiten: Häufig dient beispielsweise Wasser aus den gleichen Quellen zum Trinken, Kochen, Baden und Waschen sowie ganz in der Nähe auch zur Beseitigung der Exkremente, und die Menschen wissen nicht, wie wichtig es ist, sich vor der Handhabung von Lebensmitteln die Hände zu waschen.
Für den Zusammenhang zwischen Hygiene und Krankheit möchte ich nur ein Beispiel nennen, das mich persönlich beeindruckte: Auf einer Reise nach Indonesien verbrachte ich die Tage vorwiegend allein mit der Beobachtung von Vögeln auf Waldwegen, die sternförmig von einem Lager ausgingen, das ich mit indonesischen Kollegen teilte. Zu meinem Entsetzen bemerkte ich, dass mich plötzlich und unberechenbar, jeden Tag zu einer anderen Uhrzeit, Anfälle von Durchfall heimsuchten. Ich zermarterte mir das Gehirn mit der Frage, was ich falsch gemacht hatte und wie sich die unterschiedlichen Uhrzeiten der Anfälle erklären ließen. Schließlich konnte ich den Zusammenhang herstellen. Ein ausnehmend freundlicher indonesischer Kollege, der sich für mein Wohlergehen verantwortlich fühlte, kam jeden Tag aus dem Lager und verfolgte meine Spur, bis er mich traf und sicher sein konnte, dass ich keinen Unfall gehabt oder mich verlaufen hatte. Dann gab er mir ein paar Kekse, die er in seiner Aufmerksamkeit als Snack aus dem Lager mitgebracht hatte, unterhielt sich ein paar Minuten mit mir, um sich zu vergewissern, dass es mir gutging, und kehrte dann ins Lager zurück. Eines Abends
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