Vermächtnis
bekanntermaßen bei einigen hunderttausend Menschen. Solche Krankheiten kann man also zusammenfassend als »akute immunisierende, epidemische Massen-Infektionskrankheiten von Menschen« oder kurz als Massenkrankheiten bezeichnen.
Die Massenkrankheiten kann es vor Beginn der Landwirtschaft vor rund 11 000 Jahren nicht gegeben haben. Erst durch das explosionsartige Bevölkerungswachstum, das durch die Landwirtschaft möglich wurde, wuchs die Population so weit an, dass unsere heutigen Massenkrankheiten Fuß fassen konnten. Nach der Einführung der Landwirtschaft konnten sich die ehemals nomadisierenden Jäger und Sammler in engen, hygienisch bedenklichen dauerhaften Dörfern niederlassen, die durch Handel mit anderen Dörfern verbunden waren und damit ideale Voraussetzungen für die schnelle Übertragung von Mikroorganismen boten. Molekularbiologische Untersuchungen aus jüngerer Zeit haben gezeigt, dass die Erreger vieler, ja möglicherweise sogar der meisten heute auf Menschen beschränkten Massenkrankheiten aus den Massenkrankheiten von Haustieren wie Schweinen und Rindern hervorgegangen sind, und mit diesen Tieren kamen wir erst seit Beginn der Domestikation vor rund 11 000 Jahren in den regelmäßigen, engen Kontakt, der für die Mikroorganismen-Übertragung von Tieren auf Menschen eine ideale Voraussetzung darstellt.
Dass Massenkrankheiten in kleinen Gruppen von Jägern und Sammlern fehlen, bedeutet natürlich nicht, dass solche Gruppen frei von Infektionskrankheiten wären. Es gibt solche Krankheiten bei ihnen durchaus, aber sie unterscheiden sich in vier Aspekten von den Massenkrankheiten. Erstens sind die Mikroorganismen, die in solchen Gruppen die Krankheiten hervorrufen, nicht auf die Spezies Mensch beschränkt, sondern sie kommen auch (wie der Erreger des Gelbfiebers, den wir mit Affen gemeinsam haben) bei Tieren vor, oder sie können (wie die Erreger von Botulismus und Tetanus) im Boden überleben. Zweitens handelt es sich in vielen Fällen nicht um akute, sondern um chronische Krankheiten wie Lepra und Frambösie. Drittens werden manche dieser Krankheiten nur sehr schlecht von Mensch zu Mensch übertragen – Beispiele sind auch hier Lepra und Frambösie. Und schließlich verleihen die meisten derartigen Krankheiten keine dauerhafte Immunität: Wer sich einmal von einer Erkrankung erholt hat, kann sie sich auch ein zweites Mal zuziehen. Wegen dieser vier Eigenschaften können sich solche Krankheiten auch in kleinen Bevölkerungsgruppen halten: Ausgehend von ihren Reservoiren in Tieren und im Boden sowie von chronisch Erkrankten infizieren sie ihre Opfer immer wieder.
Jäger und Sammler sowie kleine Bauerngruppen sind gegen Massenkrankheiten nicht immun; die Krankheiten bleiben bei ihnen nur schlicht nicht erhalten. Kleine Bevölkerungsgruppen sind sogar leider für Massenkrankheiten besonders anfällig, wenn sie durch einen Besucher von außen angesteckt werden. Diese größere Empfindlichkeit ist darauf zurückzuführen, dass zumindest manche Massenkrankheiten unter Erwachsenen für eine höhere Sterblichkeit verantwortlich sind als bei Kindern. In der dichten Bevölkerung von Großstädten der Ersten Welt kam (bis vor kurzem) jeder als Kind mit den Masern in Kontakt, in einer kleinen, isoliert lebenden Gruppe von Jägern und Sammlern dagegen hatten die Erwachsenen keinen Kontakt mit Masern, und dann starben sie häufig daran, wenn die Krankheit auftrat. Viele entsetzliche Geschichten berichten von Inuit, amerikanischen Ureinwohnern und australischen Aborigines, deren Bevölkerungsgruppen nach dem Kontakt mit Europäern durch Krankheitsepidemien nahezu ausgerottet wurden.
Umgang mit Krankheiten
Für traditionelle Gesellschaften besteht zwischen Krankheiten und den drei anderen wichtigen Gefahrenkategorien ein bedeutsamer Unterschied. Er betrifft die Kenntnisse der Menschen über die zugrundeliegenden Mechanismen und damit auch über wirksame Heilungs- oder Vorbeugungsmaßnahmen. Wenn jemand durch einen Unfall, eine Gewalttat oder Hunger verletzt wird oder stirbt, sind die Ursache und der Entstehungsmechanismus klar: Das Opfer wurde von einem umstürzenden Baum erschlagen, vom Pfeil eines Feindes getroffen oder ist durch unzureichende Nahrungszufuhr gestorben. Ebenso klar ist, welche Maßnahmen zur Heilung oder Vorbeugung angemessen sind: Schlafe nicht unter abgestorbenen Bäumen, sei auf der Hut vor Feinden oder töte sie als Erster, und sorge für eine zuverlässige Lebensmittelversorgung. Was
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