Vermächtnis
jedoch die Krankheiten angeht, erzielte man erst innerhalb der letzten beiden Jahrhunderte nennenswerte Erfolge bei der empirischen Aufklärung ihrer Ursachen und der Entwicklung wissenschaftlich begründeter Vorbeugungs- und Heilungsverfahren. Vorher zahlten sowohl Staats- als auch traditionelle Kleingesellschaften aufgrund von Krankheiten einen hohen Tribut.
Damit möchte ich nicht sagen, dass traditionelle Völker, was die Vorbeugung oder Heilung von Krankheiten betrifft, völlig hilflos wären. Die Siriono verstehen offenbar, dass zwischen menschlichen Exkrementen und Krankheiten wie Ruhr und Hakenwürmern ein Zusammenhang besteht. Eine Sioriono-Mutter beseitigt die Exkremente ihres Säuglings sofort, nachdem dieser sie ausgeschieden hat, bewahrt sie in einem Korb auf und entsorgt den Korb schließlich an einer weit entfernten Stelle im Wald. Aber selbst die Siriono betreiben keine sehr strenge Hygiene. Der Anthropologe Allan Holmberg berichtete, wie ein Siriono-Säugling unbeobachtet von der Mutter Stuhlgang hatte, in seinen Exkrementen lag, sich am ganzen Körper damit beschmierte und sie auch in den Mund nahm. Als die Mutter schließlich bemerkte, was vor sich ging, steckte sie dem Baby einen Finger in den Mund, entfernte die Exkremente, wischte das verschmutzte Baby sauber, ohne es aber zu baden, und aß dann selbst weiter, ohne sich die Hände zu waschen. Piraha-Indianer lassen ihre Hunde von demselben Teller essen, den sie auch selbst zur gleichen Zeit zum Essen benutzen – eine gute Methode, um sich Krankheitserreger und Parasiten von Hunden zuzuziehen.
Viele traditionelle Völker haben durch Ausprobieren einheimische Pflanzen kennengelernt, denen sie eine Heilwirkung bei bestimmten Krankheiten zuschreiben. Meine Freunde in Neuguinea machen mich häufig auf ganz bestimmte Pflanzen aufmerksam und erklären, diese würden zur Behandlung von Malaria, anderen fiebrigen Erkrankungen oder Ruhr benutzt oder dienten dazu, eine Fehlgeburt auszulösen. Ethnobotaniker aus dem Westen haben diese traditionellen pharmakologischen Kenntnisse überprüft, und westliche Pharmakonzerne gewinnen Medikamente aus den Pflanzen. Insgesamt sind aber mit dem traditionellen medizinischen Wissen, so interessant es auch ist, in der Regel nur begrenzte Wirkungen zu erzielen. In den Niederungen und im Bergland von Neuguinea gehört die Malaria zu den häufigsten Krankheits- und Todesursachen. Aber erst nachdem Wissenschaftler nachgewiesen hatten, dass die Malaria durch Protozoen der Gattung
Plasmodium
verursacht wird, die durch Mücken der Gattung
Anopheles
übertragen werden, und dass man sie mit verschiedenen Medikamenten heilen kann, konnte man den Anteil der neuguineischen Flachlandbewohner, die an Malariaanfällen leiden, von ungefähr 50 Prozent auf weniger als ein Prozent senken.
Die Ansichten über Krankheitsursachen sowie die sich daraus ergebenden Vorbeugungs- und Heilungsbemühungen sind bei traditionellen Völkern sehr unterschiedlich. In manchen – aber nicht allen – Völkern gibt es spezialisierte Heiler, die von Besuchern aus dem Westen als Schamanen bezeichnet werden und von dem jeweiligen Volk bestimmte Titel verliehen bekommen. Die !Kung und Ache stehen Krankheiten häufig fatalistisch gegenüber, als wären sie ein Produkt des Zufalls, gegen das man nichts tun kann. In anderen Fällen bieten die Ache biologische Erklärungen an: Danach sind tödliche Darmkrankheiten bei Kindern auf die Entwöhnung und den Verzehr fester Nahrung zurückzuführen, und Fieber entsteht durch den Verzehr von schlechtem Fleisch, durch zu viel Honig, durch Honig, der nicht mit Wasser vermischt wurde, durch zu viele Insektenlarven oder andere gefährliche Lebensmittel, oder aber durch den Kontakt mit Menschenblut. Alle diese Erklärungen könnten manchmal stimmen, aber sie schützen die Ache nicht vor einer hohen krankheitsbedingten Sterblichkeit. Die Daribi, Fayu, Kaulong, Yanomamo und viele andere Völker führen manche Krankheiten auf einen Fluch, Magie oder einen Zauberer zurück, gegen die man dann mit Überfällen und die Tötung oder Bezahlung des verantwortlichen Zauberers vorgehen kann. Dani, Daribi und !Kung machen für andere Krankheiten böse Geister verantwortlich, und die Heiler der !Kung versetzen sich in Trance, um so zwischen Geistern und Menschen zu vermitteln. Die Kaulong, Siriono und viele andere Völker suchen für Krankheiten moralische oder religiöse Erklärungen: Danach hat das Opfer die Krankheit selbst
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