Vermächtnis
Schwankungen der verfügbaren Nahrungsmengen. Damit eröffnet sich ein Weg, mit der jede Gruppe zu einer beiderseits vorteilhaften Vereinbarung mit anderen gelangen kann: Die Partner lassen zu, dass man ihr Land betritt, oder schicken Lebensmittel, wenn sie selbst genug haben, der andere aber nicht, und dessen Gruppe erwidert den Gefallen, wenn bei den anderen gerade die Nahrung knapp ist.
So schwankt beispielsweise der monatliche Niederschlag in dem Teil der Kalahari-Wüste, der von den !Kung San besiedelt ist, an einzelnen Stellen um den Faktor 10 . Dies hat nach den Worten von Richard Lee zur Folge, dass »die Wüste in einer Gegend blüht, und wenige Stunden zu Fuß entfernt ist das Land völlig verbrannt«. Als Beispiel verglich Lee den monatlichen Niederschlag an fünf Stellen im Distrikt Ghanzi während der zwölf Monate vom Juli 1966 bis Juni 1967 . Die gesamte Niederschlagsmenge schwankte an den verschiedenen Stellen noch nicht einmal um den Faktor 2 , aber in einem bestimmten Monat fiel an manchen Stellen überhaupt kein Niederschlag, an anderen waren es 25 Zentimeter. Der höchste Jahresniederschlag wurde an einem Ort namens Cume gemessen, dieser war aber dennoch im Mai 1967 die trockenste der fünf Stellen und sowohl im November 1966 als auch im Februar 1967 stand sie, was die Niederschlagsmenge anging, an vorletzter Stelle. Umgekehrt fiel in Kalkfontein der geringste Jahresniederschlag, die Regenmenge war aber im März 1967 und dann noch einmal im Mai 1967 die zweithöchste. Eine Gruppe, die ausschließlich an einer Stelle lebt, hätte also in jedem Fall zu bestimmten Zeiten Dürre und Nahrungsknappheit erlebt, sie konnte aber in der Regel eine andere Gruppe finden, in deren Gebiet es geregnet hatte und blühte; die beiden Gruppen mussten nur übereinkommen, sich gegenseitig in Notzeiten zu helfen. Tatsächlich sind solche allgemeinen Vereinbarungen auf Gegenseitigkeit unentbehrlich, damit die !Kung in ihrer lokal unberechenbareren Wüstenumwelt überleben können.
Gegenseitige Hilfeleistung (die gelegentlich durch Feindseligkeiten unterbrochen wird) ist unter traditionellen Gesellschaften weit verbreitet. Die Dorfbewohner auf den Trobriandinseln verteilen Lebensmittel zwischen den Dörfern, um damit lokale Nahrungsmittelknappheit auszugleichen. Bei den Iñuipat im Norden Alaskas zogen einzelne Familien in Zeiten einer lokalen Hungersnot zu Verwandten oder Partnern in einen anderen Distrikt. Die wichtigsten Früchte, die von den südamerikanischen Yanomamo-Indianern verzehrt werden, stammen aus Gehölzen von Pfirsichpalmen und Kochbananenpflanzen; beide (insbesondere die Pfirsichpalmen) produzieren so große Erntemengen, dass eine lokale Gruppe allein sie nicht aufbrauchen kann. Nachdem die Früchte reif sind, verderben sie, und aufbewahren kann man sie nicht; man muss sie also im reifen Zustand essen. Hat eine lokale Gruppe einen Überschuss, lädt sie ihre Nachbarn zu einem Festessen ein und erwartet dabei, dass die Nachbarn das Umgekehrte tun, wenn bei ihnen ein Nahrungsmittelüberschuss anfällt.
Landverteilung
Eine zweite verbreitete, langfristige Lösung für die unberechenbare Gefahr einer lokalen Nahrungsmittelknappheit besteht darin, dass man den Landbesitz verteilt. Dieses Phänomen begegnete mir in Neuguinea, als ich eines Tages während meiner Vogelbeobachtungen auf den gerodeten Garten eines neuguineischen Freundes stieß; er lag mitten im Wald eineinhalb Kilometer nordöstlich des Dorfes und mehrere Kilometer von seinen anderen Gärten entfernt, die sich im Süden und Westen des Dorfes verteilten. Was um alles in der Welt, so fragte ich mich, hatte er sich dabei gedacht, als er sich für seinen Garten diese abgelegene Lage aussuchte? Es erschien mir höchst ineffizient, sich selbst zu einem so hohen Zeitaufwand für die Wege zu zwingen, und mit seiner abgelegenen Lage war der Garten auch nur schwer vor streunenden Schweinen und Dieben zu schützen. Aber Neuguineer sind kluge, erfahrene Gärtner. Wenn sie etwas tun, was man anfangs nicht versteht, stellt sich in der Regel heraus, dass sie einen Grund haben. Was war hier sein Motiv?
Auch in anderen Regionen der Erde rätselten westliche Wissenschaftler und Entwicklungsexperten über ähnliche Fälle von verstreutem Landbesitz. Das am häufigsten zitierte Beispiel sind die Bauern im mittelalterlichen England, die Dutzende von winzigen, verstreuten Parzellen bewirtschafteten. Für moderne Wirtschaftshistoriker war das »ganz
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