Vermächtnis
offensichtlich« eine schlechte Idee, weil für Wege und Transport viel Zeit vergeudet wurde und weil zwischen den Parzellen zwangsläufig unbewirtschaftete Streifen blieben. Einen ähnlichen Fall von verstreuten Feldern untersuchte Carol Goland bei Bauern in der Andenregion nicht weit vom Titicacasee; sie provozierte Entwicklungsexperten zu empörten Worten: »Insgesamt ist die landwirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Bauern so erschreckend gering … dass wir erstaunt darüber sein müssen, wie diese Menschen überhaupt überleben können … Da die Felder eines Bauern durch die Traditionen von Erbschaft und Eheschließung ständig zerstückelt werden und über zahlreiche Dörfer verstreut sind, verbringt der durchschnittliche Bauer drei Viertel seines Tages damit, zwischen Feldern hin und her zu laufen, die in manchen Fällen nur wenige Quadratmeter groß sind.« Die Experten schlugen den Bauern vor, Landflächen auszutauschen und so ihren Besitz zu konsolidieren.
Aber wie Golands quantitative Studie in den peruanischen Anden zeigte, hat diese scheinbare Verrücktheit in Wirklichkeit Methode. Im Distrikt CuyoCuyo bauten die von Goland untersuchten Bauern Kartoffeln und andere Nutzpflanzen auf weit verstreuten Feldern an: Jeder Bauer hatte im Durchschnitt 17 und maximal 26 Felder, jedes mit einer durchschnittlichen Größe von nur 15 mal 15 Metern. Da die Bauern hin und wieder Felder pachten oder kaufen, wäre es für sie durchaus möglich, auf diesem Weg ihren Besitz zu konsolidieren, aber das tun sie nicht. Warum nicht?
Ein Anhaltspunkt, der Goland auffiel, waren die von Feld zu Feld und von Jahr zu Jahr wechselnden angebauten Pflanzenarten. Nur ein kleiner Teil dieses Wechsels war aufgrund von Umweltfaktoren wie Höhenlage der Felder, Steigung und freie Lage sowie anhand von Faktoren, die mit der Arbeit zu tun hatten und unter Kontrolle der Bauern standen (beispielsweise der Aufwand für Düngung und Unkrautbeseitigung, Dichte des Saatguts und Zeitpunkt der Aussaat) vorauszusehen. Zum größten Teil waren die Veränderungen jedoch nicht vorhersehbar, nicht kontrollierbar und hatten in irgendeiner Form mit der lokalen Menge und zeitlichen Verteilung des Niederschlages, Frostperioden, Pflanzenkrankheiten, Schädlingen und Diebstahl zu tun. Die einzelnen Felder liefern in jedem einzelnen Jahr sehr unterschiedliche Erträge, aber der Bauer kann nicht vorhersehen, welches einzelne Feld in einem bestimmten Jahr besonders ergiebig sein wird.
Eines muss eine Bauernfamilie in CuyoCuyo um jeden Preis vermeiden: dass sie am Ende eines Jahres nur eine geringe Ernte eingefahren hat, so dass die Familie hungern muss. Die Bauern der Region können auch in einem guten Jahr nicht so viel lagerfähige Lebensmittelüberschüsse produzieren, dass sie damit ein nachfolgendes schlechtes Jahr überstehen. Deshalb verfolgen sie nicht das Ziel, im Durchschnitt vieler Jahre die höchstmöglichen Erträge zu erwirtschaften. Ist ein solcher zeitlicher Durchschnittsertrag in neun sehr guten Jahren und einem schlechten Jahr besonders hoch, verhungert man in dem einen Jahr der Missernte dennoch, bevor man sich im Rückblick zu dem hohen Durchschnittsertrag gratulieren kann. Die Bauern legen es vielmehr darauf an, in jedem einzelnen Jahr einen Ertrag zu erzielen, mit dem man nicht verhungert, selbst wenn die Erträge im zeitlichen Durchschnitt nicht die höchsten sind. Aus diesem Grund ist die Verteilung auf viele kleine Felder sinnvoll. Hat man nur ein großes Feld, kann dieses im Durchschnitt noch so gut sein, man verhungert, wenn das unvermeidliche eine Jahr kommt, in dem das Feld einen niedrigen Ertrag liefert. Hat man jedoch viele verschiedene Felder, deren Erträge unabhängig voneinander schwanken, produziert in jedem Jahr zumindest ein Teil der Felder ausreichende Mengen, auch wenn die Erträge der anderen schlecht sind.
Um diese Hypothese zu überprüfen, ermittelte Goland die Erträge aller Felder von 20 Familien – insgesamt handelte es sich um 488 einzelne Felder – in zwei aufeinanderfolgenden Jahren. Dann berechnete sie, wie hoch die Erträge jeder Familie aus allen ihren Feldern gewesen wäre, wenn sämtliche Felder sich bei gleicher Gesamtfläche auf einen ihrer tatsächlichen Orte konzentriert hätte oder wenn sich die Felder stattdessen auf zwei, drei, vier usw. bis zu 14 verschiedene Stellen verteilt hätten. Das Ergebnis: Je größer die Zahl der Einzellagen war, desto niedriger lag der berechnete
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