Vermächtnis
bleiben, auch wenn man sich dann im langjährigen Durchschnitt mit einem niedrigeren Ertrag zufriedengeben muss. Während ich dies schreibe, leiden einige der klügsten Investoren in den Vereinigten Staaten darunter, dass sie genau diesen Unterschied nicht beachtet haben. Die Harvard University hat unter allen Universitäten der Vereinigten Staaten das höchste Stiftungskapital, und im langjährigen Durchschnitt wirft dieses Kapital auch die höchsten Erträge ab. Die Anlagemanager der Hochschule sind berühmt für ihre Kompetenz, ihre Erfolge und ihre Bereitschaft, gewinnbringende Investitionen zu tätigen, vor denen konservative Universitäts-Anlagemanager früher zurückschreckten. Das Gehalt eines Harvard-Managers war an das langfristige durchschnittliche Wachstum jenes Teils des Universitätsportfolios gekoppelt, für den der Manager verantwortlich war. Aber leider sind die Erträge der Harvard University nicht für Luxus oder Regentage bestimmt, sondern sie tragen ungefähr die Hälfte zum laufenden Etat der Hochschule bei. Während der weltweiten Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 brachen Stiftungskapital und Erträge der Universität ebenso zusammen wie viele andere Investitionen, die auf eine maximale langfristige Rendite angelegt waren. Dies hatte zur Folge, dass Harvard einen Einstellungsstopp verhängen und den milliardenschweren Plan für einen ganz neuen naturwissenschaftlichen Campus auf unbestimmte Zeit verschieben musste. Rückblickend betrachtet, hätten die Harvard-Manager sich lieber der gleichen Strategie bedienen sollen wie so viele einfache Bauern (Abb. 45 ) .
Jahreszeiten und Lebensmittelknappheit
Bisher war davon die Rede, wie traditionelle Völker mit der Gefahr von Hungersnöten umgehen, die aus unberechenbaren Schwankungen der Lebensmittelversorgung erwachsen. Natürlich gibt es auch jahreszeitliche Schwankungen, die man vorhersehen kann. Den Bewohnern der gemäßigten Klimazonen sind die Unterschiede zwischen Frühling, Sommer, Herbst und Winter vertraut. Selbst heute, da Vorratshaltung und der Transport über weite Entfernungen die meisten jahreszeitlichen Schwankungen der Verfügbarkeit von Lebensmitteln in den Supermärkten beseitigt haben, ist frisches Obst und Gemüse aus der Region nach einem vorhersehbaren Zeitplan erhältlich. Nicht weit von meinem Wohnort in Los Angeles gibt es beispielsweise einen Bauernmarkt, auf dem nur regional erzeugte jahreszeitliche Produkte angeboten werden: Spargel im April und Mai, Kirschen und Erdbeeren im Mai und Juni, Pfirsiche und Aprikosen im Juni und Juli, Kürbisse von Juli bis Januar, Khakifrüchte von Oktober bis Januar. In den gemäßigten Klimazonen Nordamerikas und Eurasiens unterlagen früher nicht nur frisches Obst und Gemüse, sondern auch die verfügbaren Mengen anderer Lebensmittel jahreszeitlichen Schwankungen, die erst durch moderne Lager- und Transportverfahren beseitigt wurden. Im Herbst, wenn die Tierbestände auf den Bauernhöfen ausgedünnt und geschlachtet wurden, stand Fleisch im Überfluss zur Verfügung; im Frühjahr und Sommer, wenn Kühe und Schafe ihre Jungen zur Welt brachten, war es die Milch; Fische wie Lachs und Hering wandern zu vorhersehbaren Zeiten die Flüsse hinauf oder an der Küste entlang; und wandernde Wildtiere wie Rentiere und Bisons, die gejagt werden, zeigen sich ebenfalls zu bestimmten Jahreszeiten.
Deshalb waren manche Monate in den gemäßigten Klimazonen eine Zeit des Überflusses, und andere waren vorhersehbar magere Zeiten: Dann wussten die Menschen, dass die gelagerten Lebensmittel zur Neige gehen konnten und dass sie zumindest den Gürtel enger schnallen mussten, im schlimmsten Fall aber auch eine Hungersnot riskierten. Für die Wikinger in Grönland kam diese magere Zeit jedes Jahr gegen Ende des Winters, wenn sie nahezu alle Vorräte an Käse, Butter und Dörrfleisch aus dem vorherigen Jahr verbraucht hatten; Kühe, Schafe und Ziegen hatten zu dieser Zeit noch keine Jungen zur Welt gebracht und produzierten deshalb auch noch keine Milch, die Rudel der Sattelrobben waren auf ihrer Wanderung noch nicht an der Küste eingetroffen, und die einheimischen Seehunde waren noch nicht zum Gebären an den Strand gekommen. Am Ende eines solchen Winters um das Jahr 1360 starben offenbar in einer der beiden Wikingersiedlungen in Grönland sämtliche Einwohner an Hunger.
Amerikaner, Europäer und andere Bewohner der gemäßigten Klimazonen nehmen im Allgemeinen an, dass es in tropischen Regionen und
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