Vermächtnis
Lebensmittel so aufgeteilt, dass jeder Bewohner des Lagers einen gleichberechtigten Anteil erhält. Die Jagdgruppe oder das Lager ist eine Einheit des Teilens …« Sein Prinzip des Zusammenlegen und Teilens unter Jägern und Sammlern gilt auch für viele Kleingesellschaften von Bauern und Viehzüchtern, beispielsweise für die Nuer im Sudan, die von Evans-Pritchard studiert wurden; sie teilen Fleisch, Milch, Fische, Getreide und Bier: »Auch wenn jeder Haushalt seine eigenen Lebensmittel besitzt, selbst kocht und eigenständig für die Bedürfnisse seiner Mitglieder sorgt, essen Männer und in geringerem Umfang auch Frauen und Kinder in so großem Umfang im Haus anderer, dass die ganze Gemeinschaft, von außen betrachtet, als Nutzer eines gemeinsamen Vorrates erscheint. Die Regeln der Gastfreundschaft und Konventionen über die Aufteilung von Fleisch und Fisch führen dazu, dass Lebensmittel in viel größerem Umfang geteilt werden, als es aufgrund einer reinen Aussage über die Eigentumsprinzipien den Anschein hat.«
Im nächstgrößeren räumlichen und zeitlichen Maßstab haben Schwankungen der Nahrungsversorgung ihre Ursache in einer nicht vorhersehbaren, wechselnden Verfügbarkeit von Lebensmitteln, von der eine ganze lokale Gruppe betroffen ist. Eine kalte, nasse Wetterperiode, die mehrere Tage andauert, und schon ist es für die Ache-Indianer gefährlich und nicht mehr lohnend, auf die Jagd zu gehen; dann sind sie nicht nur hungrig, sondern sie laufen auch Gefahr, sich Erkältungen und Atemwegsinfektionen zuzuziehen. Wann in der Gegend die Kochbananen und die Früchte der Pfirsichpalmen reifen, die für die Yanomamo-Indianer das Grundnahrungsmittel darstellen, lässt sich nicht vorhersagen: Entweder gibt es überhaupt nichts zu essen, oder sie sind lokal im Überfluss vorhanden. Die Hirseernte der Nuer kann durch Dürre, Elefanten, starken Regen, Heuschrecken oder Webervögel zugrunde gerichtet werden. Eine schwere Dürre mit nachfolgender Hungersnot tritt bei den Jägern und Sammlern der !Kung in nicht vorhersehbaren Abständen durchschnittlich alle vier Jahre ein, und bei den Bauern auf den Trobriandinseln ist sie zwar selten, aber gefürchtet. Bei den Hochlandbewohnern Neuguineas vernichtet Frost in großer Höhe ungefähr in einem von zehn Jahren das Grundnahrungsmittel, die Süßkartoffeln. Die Salomoneninseln werden in unregelmäßigen Abständen von einem bis einigen Jahrzehnten von zerstörerischen Wirbelstürmen heimgesucht.
Kleingesellschaften bemühen sich auf mehrere Arten, mit einer solchen nicht vorhersagbaren, lokal begrenzten Lebensmittelknappheit zurechtzukommen: Sie verlegen ihr Lager, legen sich Fettpolster zu, treffen Abkommen mit anderen Gruppen in ihrer Gegend und nutzen unterschiedliche Landflächen für die Lebensmittelproduktion. Für nomadisierende Jäger und Sammler, die nicht an feste Gärten gebunden sind und einer lokalen Lebensmittelknappheit gegenüberstehen, besteht die einfachste Lösung darin, an einen anderen Ort weiterzuziehen, wo zu dem jeweiligen Zeitpunkt mehr Lebensmittel zur Verfügung stehen. Außerdem kann man, sobald es möglich ist, Fett ansetzen: Wenn die Gefahr, dass Lebensmittel verderben, oder feindliche Überfälle verhindern, dass man Lebensmittel in Vorratskammern oder großen Behältern lagert, kann man sie zumindest in Form von eigenem Fett speichern, das nicht verdirbt und nicht gestohlen werden kann. In Kapitel 11 werde ich anhand mehrerer Beispiele schildern, wie Kleingesellschaften angesichts eines Lebensmittelüberschusses eine Menge herunterschlingen, die dem Besucher aus dem Westen völlig unglaublich erscheint, mit Ausnahme der wenigen unter uns, die schon einmal ein einem Hot-Dog-Wettessen teilgenommen haben. Auf diese Weise setzen die Menschen Fett an und können dann später Zeiten der Lebensmittelknappheit besser überleben.
Wer auf diese Weise große Mengen verschlingt, übersteht zwar einige Wochen der Lebensmittelknappheit unter Umständen besser, gegen ein ganzes Hungerjahr schützt es aber nicht. Eine längerfristige Lösung besteht darin, mit benachbarten Gruppen Abkommen auf Gegenseitigkeit zu treffen: Wenn es im Bereich der einen Gruppe genügend Lebensmittel gibt, während die andere an Knappheit leidet, wird geteilt. Die verfügbaren Lebensmittelmengen schwanken in allen Territorien im Laufe der Zeit. Aber zwei Regionen, die ausreichend weit voneinander entfernt sind, erleben mit größerer Wahrscheinlichkeit gegenläufige
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