Vermächtnis
Unterschied erklären wollte, nannten die Erfahrungen, die Frankreich und Deutschland mit dem Gemetzel gemacht hatten, durch das Millionen ihrer Bürger während der beiden Weltkriege bei häufig törichten, riskanten Militäroperationen ums Leben gekommen waren; eine weitere Erklärung betraf die Gründung der modernen amerikanischen Gesellschaft durch Immigranten aus anderen Ländern, die das Risiko auf sich genommen hatten, sich zu entwurzeln und in eine fremde neue Heimat zu ziehen, während ihre risikoscheueren Landsleute im Ursprungsland zurückgeblieben waren.
Alle Gesellschaften sind also mit Gefahren konfrontiert, die Menschen stehen aber an verschiedenen Orten und bei unterschiedlicher Lebensweise auch unterschiedlichen Gefahren gegenüber. Ich mache mir Sorgen um Autounfälle und Trittleitern, meine Freunde im Tiefland Neuguineas fürchten sich vor Krokodilen, Wirbelstürmen und Feinden, und die !Kung haben Angst vor Löwen und Dürre. Jede Gesellschaft hat sich ein ganzes Spektrum von Maßnahmen zu eigen gemacht, mit denen sie die Gefahren, die sie jeweils erkannt hat, zu vermindern sucht. Aber selbst wir Bürger der WEIRD -Gesellschaften denken über die Gefahren, die uns drohen, nicht immer so nüchtern nach, wie es gut wäre. Unsere Versessenheit auf die Gefahren der Gentechnik und der Spraydosen würde sich besser auf die scheinbar geringen Risiken der Zigaretten und des Radfahrens ohne Helm konzentrieren. Ob auch traditionelle Völker die Gefahren in ihrem Leben ähnlich falsch einschätzen, bleibt noch zu untersuchen. Neigen wir modernen WEIRD -Menschen besonders zu einer Fehleinschätzung von Risiken, weil wir unsere Informationen zum größten Teil aus zweiter Hand durch das Fernsehen und andere Massenmedien beziehen, die sich auf sensationelle, aber seltene Unfälle und Ereignisse mit vielen Toten konzentrieren? Schätzen traditionelle Völker die Gefahren zutreffender ein, weil sie stattdessen Lehren aus eigenen Erfahrungen sowie den Erfahrungen ihrer Angehörigen und Nachbarn ziehen? Können wir lernen, realistischer über Gefahren nachzudenken?
Teil V Religion, Sprache und Gesundheit
Kapitel 9 Was wir von Zitteraalen über die Evolution der Religion lernen können
Fragen nach der Religion
»Am Anfang lebten alle Menschen rund um einen großen Eisenholzbaum im Urwald und sprachen dieselbe Sprache. Ein Mann, dessen Hoden durch die Infektion mit einem Wurmparasiten riesengroß angeschwollen waren, saß die ganze Zeit auf einem Ast des Baumes, so dass er seine schweren Hoden auf dem Boden ablegen konnte. Aus Neugier kamen die Tiere aus dem Dschungel und schnupperten an seinen Hoden. Dann merkten die Jäger, wie leicht die Tiere zu töten sind, und alle hatten etwas zu essen und waren glücklich.
Dann, eines Tages, tötete ein schlechter Mann den Ehemann einer schönen Frau, um die Frau für sich zu gewinnen. Die Verwandten des Toten griffen den Mörder an, der seinerseits von seinen Verwandten verteidigt wurde, bis der Mörder und seine Verwandten schließlich in den Eisenholzbaum kletterten, um sich zu retten. Die Angreifer zogen an den Lianen, die an einer Seite vom Baum herunterhingen, um damit seine Krone zum Boden zu ziehen und ihre Feinde zu fassen zu bekommen.
Schließlich rissen die Lianen in der Mitte durch, so dass der Baum mit gewaltiger Kraft zurückschnellte. Der Mörder und seine Verwandten wurden in viele Richtungen aus dem Baum geschleudert. Sie landeten weit voneinander entfernt an so vielen Orten, dass sie sich nie mehr zusammenfanden. Mit der Zeit wurden ihre Sprachen immer unterschiedlicher. Das ist der Grund, warum die Menschen heute so viele verschiedene Sprachen sprechen und sich nicht verstehen können, und warum es für die Jäger so schwierig ist, Tiere zum Essen zu fangen.«
Diese Geschichte erzählen Stammesangehörige aus den Norden Neuguineas. Sie ist ein Beispiel für eine weitverbreitete Kategorie von Mythen: die Schöpfungsmythen, die uns durch die Berichte über den Garten Eden und den Turmbau zu Babel im Ersten Buch Mose der Bibel vertraut sind. Trotz dieser Parallelen zur jüdisch-christlichen Religion gab es in den traditionellen Gesellschaften der Neuguineer wie in anderen Kleingesellschaften weder Kirchen noch Priester oder heilige Bücher. Warum erinnert der Glaube dieser traditionellen Gemeinschaften mit seinem Schöpfungsmythos so stark an die jüdisch-christliche Religion, und warum unterscheidet er sich in anderen Aspekten so stark von
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