Vermächtnis
Wüstenumgebung, nämlich in Südafrika, machen es die !Kung ganz ähnlich: Sie leben in einem Jahreszyklus, der durch die Verfügbarkeit von Wasser und wasserabhängigen Lebensmittelressourcen bestimmt wird. In der Trockenzeit sammeln sie sich an den wenigen dauerhaften Wasserstellen, während der Regenzeit verteilen sie sich auf mehr als 308 weniger zuverlässige oder nur jahreszeitlich verfügbare Wasserquellen.
Umgang mit Gefahren
Nachdem wir nun die Gefahren der traditionellen Lebensweise und den Umgang damit erörtert haben, können wir das tatsächliche Ausmaß der Gefahr (wie man es auch messen mag) und unseren Umgang damit (das heißt die Frage, wie viel Sorgen wir uns wegen Gefahren machen und in welchem Umfang wir uns dagegen schützen) vergleichen. Naiverweise könnte man erwarten, dass wir vollständig rational und gut unterrichtet sind und dass unser Umgang mit verschiedenen Gefahren unmittelbar proportional zu ihrer Schwere ist, gemessen an der Zahl der Menschen, die aufgrund der verschiedenartigen Gefahren jedes Jahr tatsächlich getötet oder verletzt werden. Aber diese naive Erwartung erfüllt sich nicht, und das hat mindestens fünf Gründe.
Erstens werden unter Umständen durch Gefahren eines bestimmten Typs gerade deshalb so wenige Menschen pro Jahr getötet oder verletzt, weil wir uns ihrer bewusst sind und uns große Mühe geben, das Risiko gering zu halten. Würden wir ausschließlich rational denken, wäre ein besseres Maß für die Gefahr vielleicht nicht die tatsächliche alljährliche Zahl der Todesopfer (die sich leicht ermitteln lässt), sondern die Zahl der Todesfälle, die sich ereignet hätte, wenn wir keine Gegenmaßnahmen ergreifen würden (schwierig zu schätzen). Unter den vielen Beispielen, die wir in dem vorliegenden Kapitel erörtert haben, sind zwei in dieser Hinsicht von besonderer Bedeutung. In traditionellen Gesellschaften sterben normalerweise nur wenige Menschen an Hunger, und zwar gerade deshalb, weil viele Vorgehensweisen in ihrer Gesellschaft so organisiert sind, dass das Risiko, zu verhungern, gering bleibt. Nur wenige !Kung werden alljährlich von Löwen getötet, und zwar nicht deshalb, weil Löwen ungefährlich wären, sondern weil sie im Gegenteil so gefährlich sind, dass die !Kung vielfältige Maßnahmen ergreifen, um sich vor den Raubkatzen zu schützen: Sie verlassen das Lager nachts nicht, suchen tagsüber, wenn sie außerhalb des Lagers unterwegs sind, in der Umwelt ständig nach Fährten und anderen Anzeichen für Löwen, die Frauen bewegen sich außerhalb des Lagers in Gruppen und reden ständig laut, sie halten Ausschau nach alten, verletzten, hungrigen oder einsamen Löwen, und so weiter.
Ein zweiter Grund für das Missverhältnis zwischen tatsächlicher Gefahr und unserer Risikobereitschaft ist eine abgewandelte Form des Wayne-Gretzky-Prinzips: Unsere Bereitschaft, uns in Gefahr zu begeben, nimmt mit dem potentiellen Nutzen, den wir aus der gefährlichen Situation ziehen können, stark zu. Die !Kung vertreiben Löwen von toten Tieren, deren Fleisch ein Leckerbissen ist, sie vertreiben die Löwen aber nicht von Ruheplätzen, an denen es keine Tierkadaver gibt. Die meisten von uns würden nicht zum Vergnügen ein brennendes Haus betreten, aber wir würden es tun, wenn wir unser in dem Haus eingeschlossenes Kind retten wollen. Viele Amerikaner, Europäer und Japaner nehmen derzeit eine quälende Neubewertung der Frage vor, ob es klug ist, Atomkraftwerke zu bauen: Auf der einen Seite macht der Unfall in dem japanischen Kraftwerk von Fukushima deutlich, welche Gefahren diese Energiequelle mit sich bringt, auf der anderen steht den Gefahren der Nutzen gegenüber, wenn wir die globale Erwärmung durch geringeren Verbrauch von Kohle, Öl und Gas vermindern.
Drittens schätzen Menschen Risiken systematisch falsch ein – das gilt zumindest in der westlichen Welt, wo Psychologen das Phänomen in großem Umfang untersucht haben. Wenn man Amerikaner nach den Gefahren unserer Zeit befragt, nennen sie in der Regel als Erstes Terroristen, Flugzeugabstürze und Unfälle in Atomkraftwerken, obwohl durch alle drei Gefahren zusammen in den letzten vier Jahrzehnten wesentlich weniger Amerikaner ums Leben gekommen sind als in einem einzigen Jahr durch Autounfälle, Alkohol oder Rauchen. Vergleicht man die Risikoeinschätzung der Amerikaner mit den tatsächlichen jährlichen Opferzahlen (oder mit der Sterbewahrscheinlichkeit je Stunde der gefährlichen Tätigkeit), so
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