Vermächtnis
mit lebenslangen Folgen auf sich nimmt, lassen sie sich viel wirksamer überzeugen, als wenn man ihnen nur sagt: »Vertraut mir, ich gehöre zu euch, ich trage den richtigen Hut (ich könnte ihn aber gestern billig gekauft haben und schon morgen wegwerfen).« Wie man aus der Evolutionsbiologie weiß, haben sich im Wesentlichen aus dem gleichen Grund auch bei Tieren viele aufwendige Signale (wie beispielsweise der Schwanz des Pfaus) entwickelt: Gerade der Aufwand macht sie glaubwürdig. Wenn ein Pfauenweibchen sieht, wie ein männlicher Pfau ihr einen derart großen Schwanz vorzeigt, muss er tatsächlich bessere Gene besitzen und besser ernährt sein als ein Männchen, das so tut, als wäre es überlegen, aber nur einen kleinen Schwanz besitzt.
Ein interessantes Beispiel dafür, wie Religion die Kooperation und das Engagement in Gruppen begünstigt, liefern die Überlebensquoten amerikanischer Kommunen. In der gesamten Geschichte der Vereinigten Staaten bis in die moderne Zeit hinein experimentierte man mit der Bildung von Kommunen, in denen Menschen, die die gleichen Ideale teilen, zusammenleben können. In manchen Kommunen handelt es sich dabei um religiöse Ideale, andere sind nicht religiös motiviert; viele solche nichtreligiösen Kommunen bildeten sich in den Vereinigten Staaten während der 1960 er und 1970 er Jahren. Alle derartigen Lebensgemeinschaften unterliegen aber finanziellen, praktischen, sozialen, sexuellen und anderen Zwängen, und sie stehen in Konkurrenz zu den Reizen der Außenwelt. In ihrer großen Mehrzahl lösen sich Kommunen noch zu Lebzeiten ihrer Gründer allmählich oder plötzlich wieder auf. In den 1960 er Jahren gehörte beispielsweise eine meiner Bekannten als Mitbegründerin zu einer Kommune in einer wunderschönen, friedlichen, aber abgelegenen Region im Norden Kaliforniens. Die anderen Gründungsmitglieder wanderten aber wegen der Einsamkeit, Langeweile, sozialer Spannungen und aus anderen Gründen nach und nach ab, bis meine Bekannte als Letzte noch übrig war. Sie lebt heute noch dort, jetzt aber nicht mehr als Mitglied einer Kommune, sondern als Einzelperson.
Richard Sosis verglich das Schicksal mehrerer hundert religiöser und säkularer amerikanischer Kommunen, die im 19 . und frühen 20 . Jahrhundert gegründet wurden. Fast alle lösten sich irgendwann auf; eine Ausnahme bildeten nur die äußerst erfolgreichen Kolonien einer religiösen Gruppe, die als Hutterer bezeichnet wird: Alle 20 Huttererkolonien aus Sosis’ Stichprobe überlebten. Lässt man diese Gemeinschaften einmal beiseite, so lösten sich 199 untersuchte Kolonien irgendwann auf oder starben aus; vorausgegangen war immer ein Verlust des Glaubens an die Ideologie der Gruppe, und manchmal kamen auch Naturkatastrophen, der Tod eines charismatischen Anführers oder Feindseligkeiten von Außenstehenden hinzu. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Auflösung innerhalb eines Jahres stattfindet, war bei den säkularen Kommunen jedoch viermal größer als bei den religiösen. Offensichtlich können religiöse Ideologien ihre Anhänger wirksamer als säkulare Überzeugungen dazu veranlassen, ein möglicherweise irrationales Engagement aufrechtzuerhalten, die Gemeinschaft selbst dann nicht zu verlassen, wenn es rational sinnvoll wäre, und mit den ständigen Herausforderungen des Lebens in einer Gemeinschaft, die auf gemeinsames Eigentum setzt und in der stets die Gefahr des Missbrauchs durch Nassauer besteht, zurechtzukommen. Auch in Israel, wo es seit vielen Jahrzehnten sowohl religiöse Kibbuzim als auch eine viel größere Zahl säkularer Kibbuzim gibt, waren die religiösen Gemeinschaften in allen Jahren erfolgreicher als die säkularen, und das trotz der hohen Kosten, die den religiösen Kibbuzim durch ihre religiösen Praktiken (beispielsweise den Verzicht auf jegliche Arbeit an einem Tag in der Woche) entstehen.
Religiöse Erfolgsmaßstäbe
Die andere Lösung, die nach meiner Einschätzung nützlich ist, wenn man die Widersprüche der Religion auflösen will, ist der Ansatz des Evolutionsbiologen David Sloan Wilson. Er weist darauf hin, dass die Religion zur Abgrenzung einer Menschengruppe dient, die in Konkurrenz mit weiteren Gruppen steht, welche sich andere Religionen zu eigen gemacht haben. Das einfachste Maß für den relativen Erfolg einer Religion ist die Zahl ihrer Anhänger. Warum gibt es auf der Welt heute über eine Milliarde Katholiken und etwa 14 Millionen Juden, aber keine Albigenser (eine früher
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