Vermächtnis
fruchtbar und produktiv. Neuguineer wandern zwischen den Jahreszeiten oder von Jahr zu Jahr kaum oder gar nicht; sie können ihren gesamten Lebensunterhalt in einer kleinen Region bestreiten; Handel treiben müssen sie nur, um Salz, Steine für Werkzeuge und Luxusgüter wie Muschelschalen oder Federn zu beschaffen. Die Landschaft Neuguineas ist zerklüftet und ökologisch vielgestaltig mit bis zu 5000 Meter hohen Bergen, Flüssen, Seen, Meeresküsten, Savannen und Wäldern. Nun könnte man einwenden, dass China und Kanada noch höhere Berge und ein breiteres Spektrum von Höhenlagen bieten als Neuguinea. Aber wegen der tropischen Lage können die Menschen in Neuguinea das ganze Jahr über mit hoher Bevölkerungsdichte in Höhen über 2500 Meter leben, während die höheren Lagen in China und Kanada je nach Jahreszeit gefroren sind und nur (in Tibet) eine geringe Bevölkerungsdichte ermöglichen oder überhaupt keine Lebensgrundlage bilden.
Neben solchen ökologischen Ursachen tragen auch sozioökonomische und historische Faktoren zu der unterschiedlichen Sprachenvielfalt auf der Erde bei. Ein solcher Faktor ist die Tatsache, dass Sprachgemeinschaften von Jägern und Sammlern aus weniger Menschen bestehen als bäuerliche Gemeinschaften, gleichzeitig aber größere Flächen beanspruchen. Das Australien der Aborigines zum Beispiel war traditionell ausschließlich von Jägern und Sammlern bewohnt, die durchschnittlich 31 000 Quadratkilometer pro Sprache besiedelten, im benachbarten Neuguinea dagegen lebten vorwiegend Bauern, die nur knapp 800 Quadratkilometer je Sprache bewohnten. Ich selbst habe in Regionen von Indonesisch-Neuguinea gearbeitet, in denen in enger Nachbarschaft sowohl Bauern (im zentralen Hochland) als auch Jäger und Sammler (in den Lakes Plains) zu Hause waren. Jede Lebensweise war mit ungefähr zwei Dutzend Sprachen vertreten. Die Sprachen der Jäger und Sammler wurden dabei im Durchschnitt jeweils nur von 388 Menschen gesprochen, die durchschnittliche Bauernsprache hatte 18 241 Sprecher. Dass die Sprachgemeinschaften der Jäger und Sammler so klein waren, lag vor allem an der geringen verfügbaren Nahrungsmenge und der entsprechend niedrigen Bevölkerungsdichte. In derselben Umwelt ist die Bevölkerungsdichte der Jäger und Sammler um den Faktor 10 bis 100 niedriger als die der Bauern, weil den Jägern und Sammlern viel weniger Lebensmittel zur Verfügung stehen: Sie können nur jenen kleinen Anteil der Wildpflanzen verzehren, der essbar ist, die Bauern dagegen verwandeln die Landschaft in Gärten und Plantagen mit essbaren Arten.
Ein zweiter sozioökonomischer Faktor, der mit der Sprachenvielfalt im Zusammenhang steht, ist die politische Organisation: Mit der von den Horden zu den Staaten wachsenden politischen Komplexität nimmt die Sprachenvielfalt ab, während Personenzahl und Verbreitungsgebiet der Sprachgemeinschaften größer werden. Ein gutes Beispiel sind die Vereinigten Staaten, ein großer Staat mit einer einzigen dominanten Sprache, die von Küste zu Küste gesprochen wird: Ihre Bevölkerung ist ungefähr dreißigmal so groß wie die gesamte Weltbevölkerung zu einer Zeit, als die Welt noch ausschließlich von Horden und Stämmen von Jägern und Sammlern mit Tausenden von Sprachen bevölkert war. Das in den Vereinigten Staaten vorherrschende Englisch ist im Wesentlichen an die Stelle der vielen hundert lokalen Sprachen getreten, die noch vor 500 Jahren gesprochen wurden, als das heutige Staatsgebiet der USA unter den Horden, Stämmen und Häuptlingstümern der amerikanischen Ureinwohner aufgeteilt war. Der Hintergrund dieses Trends wurde im Prolog bereits erörtert: Wenn die Bevölkerungszahl in einer Gesellschaft zunimmt, wird eine immer größere politische Komplexität notwendig – eine Gesellschaft aus wenigen Dutzend Personen kann Entscheidungen bei Gruppenzusammenkünften ohne Anführer treffen, eine Gesellschaft aus Millionen von Menschen dagegen funktioniert nur mit Führungspersonen und Bürokraten. Staaten verbreiten ihre eigene Sprache auf Kosten der Sprachen eroberter oder integrierter Gruppen. Diese Erweiterung der Sprachen ist zum Teil eine Frage staatlicher Politik zu Zwecken der Verwaltung und nationalen Einheit, teilweise liegt die Ursache aber auch darin, dass einzelne Bürger sich der Nationalsprache bedienen, um sich damit wirtschaftliche und gesellschaftliche Möglichkeiten zu sichern.
Der letzte Faktor ist historischer Natur, und zu seinen Folgen gehört die
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