Vermächtnis
Nordaustralien, auf das 26 der 27 Aborigines-Sprachfamilien beschränkt sind; das Kalifornien der Indianer mit rund 80 Sprachen, die nach unterschiedlichen Systemen in sechs bis 22 Familien eingeteilt werden; und natürlich Neuguinea mit seinen 1000 Sprachen, die man in Dutzende von Familien einteilt.
Damit haben wir mehrere weitere Gründe, warum Neuguinea in der Zahl der Sprachen und Sprachfamilien weltweit führend ist. Neben den zuvor erwähnten ökologischen Faktoren – kaum jahreszeitliche Schwankungen, sesshafte Bevölkerungsgruppen, eine produktive Umwelt, und die durch sie mögliche hohe Bevölkerungsdichte und eine große ökologische Vielfalt, die das Nebeneinander von Menschengruppen mit unterschiedlichen Strategien des Nahrungserwerbs ermöglicht – haben wir nun auch sozioökonomische und historische Faktoren kennengelernt. Dazu gehört die Tatsache, dass sich im traditionellen Neuguinea nie eine Staatsregierung entwickelte, so dass auch keine staatliche Dampfwalze die linguistische Vielfalt einebnen konnte; und wegen der stark gegliederten Gebirgslandschaft konnte auch die Dampfwalze, die vermutlich durch die Ausbreitung der Landwirtschaft im Hochland entstand (und die mit dem sogenannten Trans-Neuguinea-Sprachenstamm in Verbindung gebracht wird) Dutzende ältere Sprachenstämme nicht beseitigen.
Traditionelle Mehrsprachigkei
Das also sind die Gründe, warum die moderne Welt von der Welt, wie sie bis gestern war, ein Vermächtnis von 7000 Sprachen übernommen hat und warum die Sprachgemeinschaften von Jägern und Sammlern, aber auch von Kleinbauern ohne Staatsregierung viel weniger Sprecher umfassten als moderne Staatsgesellschaften. Wie steht es nun mit Zwei- und Mehrsprachigkeit? Sind traditionelle Gesellschaften im Vergleich zu modernen Staatsgesellschaften öfter, weniger oft oder ebenso oft mehrsprachig?
Wie sich bei näherem Hinsehen herausstellt, lässt sich die Grenze zwischen Zwei- oder Mehrsprachigkeit und Einsprachigkeit sogar noch schwerer definieren als die zwischen Sprache und Dialekt. Sollen wir uns als zweisprachig bezeichnen, wenn wir uns außer in unserer Muttersprache noch in einer weiteren Sprache fließend unterhalten können? Sollen wir Sprachen mitzählen, in denen wir uns nur mühsam unterhalten können? Wie steht es mit Sprachen, die wir lesen, aber nicht sprechen können, beispielsweise mit Latein und Altgriechisch, falls wir diese in der Schule gelernt haben? Und was ist mit Sprachen, die wir nicht sprechen, aber verstehen, wenn sie von anderen gesprochen werden? In Amerika geborene Einwandererkinder verstehen in vielen Fällen die Sprache ihrer Eltern, sprechen sie aber nicht, und Neuguineer unterscheiden häufig zwischen Sprachen, die sie sowohl sprechen als auch verstehen, und solchen, die sie nach eigener Aussage nur »hören«, aber nicht sprechen können. Diese fehlende Einigkeit über die Definition von Zweisprachigkeit ist einer der Gründe, warum wir keine vergleichenden Befunde über die Häufigkeit der Zweisprachigkeit auf der Welt besitzen.
Dennoch brauchen wir nicht verzweifelt die Hände zu heben und das Thema zu ignorieren, denn es gibt über die Zweisprachigkeit viele Einzelfallberichte. Die meisten im Land geborenen US -Amerikaner mit Englisch sprechenden Eltern sind einsprachig; der Grund liegt auf der Hand: In den Vereinigten Staaten besteht kaum die Notwendigkeit und für die meisten Amerikaner auch keine regelmäßige Gelegenheit, eine zweite Sprache zu sprechen; die meisten Einwanderer lernen Englisch, und die meisten Englisch sprechenden Amerikaner heiraten Englisch sprechende Partner. In den meisten europäischen Staaten gibt es nur eine offizielle Amtssprache, und die meisten Europäer, deren Eltern im gleichen Land geboren wurden, lernen im Vorschulalter nur diese eine Landesprache. Da aber die europäischen Staaten eine viel kleinere Fläche haben und (heute) wirtschaftlich, politisch und kulturell viel weniger autark sind als die Vereinigten Staaten, lernen die meisten Europäer in der Schule durch formellen Unterricht weitere Sprachen, und oft beherrschen sie diese schließlich fließend. In vielen skandinavischen Staaten tragen die Verkäufer in Warenhäusern kleine Anstecknadeln mit den Fahnen der Sprachen, mit denen sie ausländischen Kunden helfen können. Allerdings ist diese verbreitete Mehrsprachigkeit in Europa ein recht neues Phänomen und eine Folge der höheren Schulbildung breiter Schichten, der wirtschaftlichen und
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