Vermächtnis
weil zwischen ihnen und den primären Faktoren eine Korrelation besteht. So besteht beispielsweise eine positive Korrelation zwischen dem Besitz eines Rolls-Royce und der Lebensdauer: Rolls-Royce-Eigentümer leben im Durchschnitt länger als Personen, die kein Auto dieser Marke besitzen. Das liegt aber nicht daran, dass der Besitz eines Rolls-Royce unmittelbar dem Überleben dienlich wäre; vielmehr haben Rolls-Royce-Besitzer in der Regel viel Geld, mit dem sie die beste medizinische Versorgung bezahlen können, und das ist der eigentliche Grund, warum sie länger leben. Wenn es aber um die Korrelationen bei der Sprachenvielfalt geht, besteht keine solche Einigkeit im Hinblick auf die tieferen Ursachen.
Die vier engsten ökologischen Zusammenhänge mit der Sprachenvielfalt haben geographische Breite, klimatische Variabilität, biologische Produktivität und die lokale ökologische Vielfalt. Erstens nimmt die Sprachenvielfalt vom Äquator zu den Polen ab: Unter ansonsten gleichen Voraussetzungen gibt es in tropischen Regionen mehr Sprachen als in entsprechenden Regionen höherer Breiten. Zweitens nimmt die Sprachenvielfalt auf derselben geographischen Breite mit der klimatischen Variabilität zu, ganz gleich, ob es sich dabei um regelmäßige jahreszeitliche Schwankungen oder um unberechenbare Schwankungen von Jahr zu Jahr handelt. So ist die Sprachenvielfalt in tropischen Regenwäldern mit ihrem ganzjährig feuchten Klima höher als in benachbarten tropischen Savannen mit ihren stärker ausgeprägten Jahreszeiten. (Die jahreszeitlichen Schwankungen und ihr Zusammenhang mit der geographischen Breite sind vielleicht zumindest eine Teilerklärung dafür, dass die Sprachenvielfalt in den Tropen mit ihren schwach ausgeprägten Jahreszeiten größer ist als in den stark jahreszeitlich geprägten höheren Breiten.) Drittens ist die Sprachenvielfalt meist in einer produktiveren Umwelt (zum Beispiel im Regenwald im Vergleich zur Wüste) größer, aber auch dieser Effekt könnte zumindest teilweise darauf zurückzuführen sein, dass die jahreszeitlichen Schwankungen in Wüsten und anderen unproduktiven Landschaften stärker sind. Und schließlich existiert in ökologisch vielgestaltigen Regionen eine größere Sprachenvielfalt; insbesondere in zerklüfteten Gebirgsgegenden ist sie in der Regel höher als im Flachland.
Die vier ökologischen Zusammenhänge sind aber keine Begründungen, sondern nur Korrelationen. Als eigentliche Gründe wurden Bevölkerungsgröße, Mobilität und ökologische Strategien vorgeschlagen. Zunächst einmal steigt die Überlebensfähigkeit einer Sprachgemeinschaft mit der Zahl ihrer Mitglieder: Eine Sprache, die nur von 50 Menschen gesprochen wird, verschwindet mit größerer Wahrscheinlichkeit, weil alle Sprecher sterben oder ihre Sprache aufgeben, als eine Sprache, deren sich 5000 Menschen bedienen. Regionen mit geringerer biologischer Produktivität (die entsprechend weniger Menschen ernähren) bieten in der Regel auch weniger Sprachen eine Lebensgrundlage, und die Sprecher jeder Sprache brauchen eine größere Fläche. Damit eine Population in der Arktis oder in der Wüste überleben kann, braucht sie Zehntausende von Quadratkilometern, um sich davon zu ernähren; in einer produktiven Landschaft dagegen sind schon wenige hundert Quadratkilometer mehr als genug. Zweitens gilt: Je gleichförmiger eine Umwelt von Jahreszeit zu Jahreszeit und von Jahr zu Jahr ist, desto eher kann eine Sprachgemeinschaft sich in einer kleinen Region ernähren und sesshaft werden, ohne dass die Notwendigkeit besteht, immer wieder weiterzuziehen oder Bedarfsgegenstände durch den Handel mit anderen Völkern zu beschaffen. Und schließlich kann eine ökologisch vielgestaltige Region vielen verschiedenen Sprachgemeinschaften eine Lebensgrundlage bieten, wobei jede Gemeinschaft mit ihrer Subsistenzwirtschaft an andere lokale Gegebenheiten angepasst ist: Eine Gebirgsregion bietet dann beispielsweise die Lebensgrundlage für Bergviehzüchter, Bergbauern, Flussfischer im Tiefland und Weideviehzüchter in den tiefer liegenden Savannen, alle in unterschiedlichen Höhenlagen und Lebensräumen.
Die Ökologie liefert uns also bereits mehrere Gründe, warum das kleine Neuguinea die Heimat von fünf- bis zehnmal mehr Sprachen ist als das riesige Russland, Kanada oder China. Neuguinea liegt nur wenige Breitengrade vom Äquator entfernt, seine Bewohner erleben also nur geringe Klimaschwankungen. Die Landschaft ist feucht,
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