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Vermächtnis

Vermächtnis

Titel: Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Englisch, Spanisch, Deutsch und Tok Pisin«. Erst nach längerem Aufenthalt in Indonesien konnte ich den Vorrat russischer Wörter blockieren, der unkontrolliert in meinem Kopf lauerte und nur darauf wartete, sich in meine indonesischen Gespräche einzuschleichen.
    Kurz gesagt, haben zwei- oder mehrsprachige Menschen unbewusst ständig Übung in der Anwendung der exekutiven Kontrolle. Sie sind gezwungen, die Funktion jedes Mal zu trainieren, wenn sie sprechen, denken oder anderen Menschen zuhören – also eigentlich immer, wenn sie wach sind. Aus dem Sport, der darstellenden Kunst und anderen Lebensbereichen wissen wir, dass Fähigkeiten sich durch Üben verbessern. Aber: Welche Fähigkeiten verbessern sich durch das Üben der Zweisprachigkeit? Entwickelt sich dadurch nur gezielt die Fähigkeit, zwischen Sprachen umzuschalten, oder hat die Zweisprachigkeit auch einen allgemeineren Nutzen?
    In jüngster Zeit hat man Tests entwickelt, mit denen man dieser Frage nachgehen kann. Dazu vergleicht man die Problemlösungsfähigkeiten zwei- und einsprachiger Menschen im Alter zwischen drei und 80  Jahren. In solchen Untersuchungen stellt sich insgesamt heraus, dass zweisprachige Menschen aller Altersstufen nur bei der Lösung von Problemen eines ganz bestimmten Typs im Vorteil sind. Es handelt sich dabei allerdings um einen sehr weit gefassten Typ, nämlich um die Bewältigung von Aufgaben, die verwirrend sind, weil sich die Regeln der Aufgabe auf unberechenbare Weise ändern, oder weil es irreführende und bedeutungslose, aber schreiend auffällige Hinweise gibt, die man außer Acht lassen muss. Kindern zeigt man beispielsweise eine Reihe von Karten, die entweder ein Kaninchen oder ein Boot zeigen, das entweder rot oder blau ist; außerdem zeigen manche Karten einen goldenen Stern, andere aber nicht. Ist der goldene Stern vorhanden, soll das Kind die Karten nach der Farbe sortieren; fehlt er, sollen sie nach dem abgebildeten Gegenstand sortiert werden. Diese Aufgabe lösen ein- und zweisprachige Kinder gleichermaßen gut, solange die Regel von einem Spieldurchgang zum nächsten gleich bleibt (zum Beispiel »sortiere nach Farbe«); werden die Regeln aber gewechselt, haben einsprachige Kinder mehr Schwierigkeiten als zweisprachige, sich darauf einzustellen.
    In einem anderen Test sitzen die Kinder vor einem Computerbildschirm, auf dem plötzlich entweder links ein rotes oder rechts ein blaues Quadrat aufleuchtet. Auf der Tastatur vor dem Bildschirm gibt es eine rote und eine blaue Taste, und das Kind soll jeweils die Taste mit der Farbe des aufleuchtenden Quadrats drücken. Befindet sich die rote Taste links und die blaue rechts auf der Tastatur, also in der gleichen relativen Position wie das Quadrat auf dem Bildschirm, erbringen zwei- und einsprachige Kinder die gleichen Leistungen. Ist die Position der roten und der blauen Taste also verwirrenderweise vertauscht – befindet sich also die rote Taste links, während links auf dem Bildschirm das blaue Quadrat aufleuchtet –, schneiden zweisprachige Kinder besser ab als einsprachige.
    Anfangs hatte man angenommen, dieser Vorteil zweisprachiger Menschen in Tests mit wechselnden Regeln oder verwirrenden Informationen würde nur für Aufgaben gelten, in denen verbale Anhaltspunkte eine Rolle spielen. Wie sich jedoch herausgestellt hat, ist er weiter gefasst: Er gilt (wie in den beiden gerade beschriebenen Beispielen) auch für nichtverbale Anhaltspunkte in Bezug auf Raum, Farbe und Menge. Das bedeutet wahrscheinlich nicht, dass zweisprachige Menschen in jeder Hinsicht bessere Leistungen erbringen: In Aufgaben, in denen man nicht auf Regeländerungen achten und keine irreführenden Anhaltspunkte ignorieren muss, schneiden beide Gruppen gleich gut ab. Aber das Leben ist nun einmal voller irreführender Informationen und wechselnder Regeln. Wenn sich die besseren Leistungen nicht nur in solchen trivialen Spielen äußern, sondern auch in den vielen verwirrenden oder veränderlichen Situationen in realen Leben, würde das für zweisprachige Menschen einen beträchtlichen Vorteil bedeuten.
    Interessanterweise hat man solche Vergleichsuntersuchungen in jüngster Zeit auch auf Säuglinge ausgeweitet. Man könnte sich vorstellen, dass es sinnlos oder unmöglich ist, »zweisprachige Säuglinge« zu testen: Säuglinge können nicht sprechen, man kann sie nicht als ein- oder mehrsprachig bezeichnen, und man kann sie nicht bitten, in einem Test Karten zu sortieren oder Tasten zu

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