Vermächtnis
Welt von gestern in vielerlei Hinsicht noch heute, selbst in den am dichtesten bevölkerten Regionen der modernen Industriegesellschaft. In dünn besiedelten, ländlichen Gebieten der westlichen Welt hat das Leben bis heute viele Aspekte der traditionellen Gesellschaften behalten. Dennoch bestehen zwischen der traditionellen Welt und unseren modernen WEIRD -(
Western, educated, industrial, rich, democratic
)Gesellschaften große Unterschiede. Ohne es zu wissen, haben die traditionellen Völker in Tausenden von Experimenten ausprobiert, wie eine Gesellschaft von Menschen funktionieren kann. Wir können nicht alle diese Experimente gezielt und unter kontrollierten Bedingungen wiederholen, um dann zu beobachten, was passiert. Aber aus dem, was tatsächlich geschehen ist, können wir lernen.
Unter anderem lehrt uns die Welt von gestern, dankbar für unsere moderne Gesellschaft zu sein und sie nicht in Bausch und Bogen zu verdammen. Über chronische Kriegsführung, Säuglingsmord und die Aussetzung älterer Menschen würde fast jeder von uns sagen: »Gut, dass wir es los sind!« Wir verstehen, warum Kleingesellschaften in vielen Fällen solche grausamen Dinge tun müssen oder so unter Druck stehen, dass sie es tun. Glücklicherweise sind wir mit unseren Staatsregierungen nicht zwangsläufig in Kreisläufen von Kriegen gefangen, und mit unserer sesshaften Lebensweise und unseren Lebensmittelüberschüssen sind wir nicht gezwungen, Säuglingsmord und die Aussetzung der Älteren zu praktizieren. »Gut, dass wir es los sind«, sagen wir auch über das Erdrosseln von Witwen und andere Grausamkeiten, die in bestimmten traditionellen Gesellschaften als kulturelle Besonderheiten praktiziert werden, obwohl nichts in ihrer Umwelt oder in ihrer Nahrungsgrundlage sie dazu zwingt.
Die Welt von gestern hat aber auch andere Aspekte, die uns nicht mit Entsetzen erfüllen, sondern wahrscheinlich vielen Lesern dieses Buches reizvoll erscheinen. Manche davon – beispielsweise am Esstisch kein Salz auf die Lebensmittel zu streuen – können wir leicht in unser individuelles Leben integrieren, ganz gleich, ob die Gesamtgesellschaft um uns herum sie ebenfalls übernimmt. Andere Aspekte, die wir bewundern, lassen sich individuell nicht ohne weiteres umsetzen, wenn sich nicht auch die Gesellschaft ändert: Unsere Kinder wie in Neuguinea aufzuziehen ist schwierig, wenn alle anderen Kinder in ihrem Umfeld wie moderne amerikanische Kinder erzogen werden. Wieder andere Entscheidungen, Aspekte traditioneller Gesellschaften zu übernehmen, setzen voraus, dass unsere Gesellschaft als Ganzes aktiv wird. Vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass die Umsetzung bewunderter Aspekte aus der Welt von gestern eine Mischung aus individuellen und gesellschaftlichen Entscheidungen erfordert, stellt sich die Frage: Was können wir – neben anderen Dingen – tun?
Ein Bereich, in dem wir als Einzelne großen Nutzen erzielen können, sind die Ernährungs- und Essgewohnheiten. Erinnern wir uns noch einmal an die verblüffende Tatsache, dass praktisch kein traditioneller Neuguineer an Schlaganfall, Diabetes oder Herzinfarkt stirbt. Das heißt nicht, dass wir die Stammeskriege wieder aufnehmen oder uns zu 90 Prozent mit Süßkartoffeln ernähren müssten, wenn auch wir es vermeiden wollen, durch solche Krankheiten ums Leben zu kommen. Stattdessen können wir einige der großartigsten Kochkünste der Welt genießen, friedlich leben und dennoch solche Krankheiten vermeiden, wenn wir drei Gewohnheiten, die Spaß machen, in unsere Lebensführung aufnehmen: Wir sollten uns bewegen, langsam essen und uns beim Essen mit Freunden unterhalten, statt die Lebensmittel allein hinunterzuschlingen, und wir sollten gesunde Lebensmittel wählen, beispielsweise frisches Obst, Gemüse, fettarmes Fleisch, Fisch, Nüsse und Getreideprodukte, während wir Lebensmittel meiden, deren Etiketten einen hohen Gehalt an Salz, Trans-Fettsäuren und einfachen Zuckern signalisieren. In diesem Bereich kann auch die Gesellschaft (das heißt Wähler, Regierung und Lebensmittelhersteller) uns die Sache einfacher machen, indem sie höhere Standards für gesündere Lebensmittelprodukte setzt, wie Finnland und andere Länder es bereits getan haben.
Auch etwas anderes können wir einzeln oder als Paar tun, ohne auf einen Wandel in der Gesamtgesellschaft zu warten: Wir können unsere Kinder zwei- oder mehrsprachig erziehen wie es bei so vielen Kindern in traditionellen Gesellschaften gemacht
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