Vermächtnis
wird. Dies wäre vielen Amerikanern möglich gewesen, aber sie scheuten davor zurück, weil man ihnen erzählt hatte, es werde Kinder verwirren, wenn sie zwei Sprachen hören. Heute wissen wir, dass so etwas Kinder keineswegs verwirrt, sondern für ihr Denken einen lebenslangen Nutzen mit sich bringt und außerdem ihr Leben bereichert. Viele amerikanische Paare sprechen nicht nur eine Sprache: Jeder Elternteil könnte mit den Kindern in einer anderen Sprache sprechen und sie »früh-zweisprachig« großziehen. Einwandererpaare könnten mit den Kindern in ihrer Heimatsprache sprechen, anstatt zu verhindern, dass die Kinder die Muttersprache ihrer Eltern hören: das Englische schnappen die Kinder ohnehin von ihren Altersgenossen schnell auf. Das sage ich zu uns allen (einschließlich meiner selbst), die wir uns in der Schule oder als Erwachsene darum bemüht haben, Sprachen zu lernen: Wir haben Tausende von Stunden damit zugebracht, Grammatikbücher zu studieren, Vokabeln auswendig zu lernen und uns Sprachtonbänder anzuhören, und dennoch sprechen wir am Ende nicht fließend und außerdem mit Akzent: All diese Mühen hätten wir uns sparen können, und am Ende würden wir fließend und akzentfrei sprechen, wenn unsere Eltern uns zweisprachig großgezogen hätten. Daran sollten wir denken, wenn wir überlegen, wie wir unsere Kinder und Enkel erziehen.
Neben der Mehrsprachigkeit bietet die Kindererziehung der traditionellen Gesellschaften auch viele andere Vorbilder, unter denen wir wählen können. Alle zukünftigen Eltern sollten sich fragen, welche der folgenden Möglichkeiten ihnen sinnvoll erscheinen: eine Phase des Stillens nach Bedarf, soweit es praktikabel ist, späte Entwöhnung, Aufrechterhaltung des Körperkontakts zwischen Säugling und Erwachsenen, Schlafen in demselben Raum (auf einer festen Matratze oder einer Wiege im Elternschlafzimmer in Abstimmung mit dem Kinderarzt!), Transport von Säuglingen in senkrechter Körperhaltung mit dem Gesicht nach vorn, viel Versorgung durch Ersatzeltern, schnelle Reaktion auf das Weinen eines Kindes, Vermeidung von körperlicher Züchtigung, Freiheit des Kindes, seine Umwelt (unter angemessener Aufsicht!) zu erkunden, altersgemischte Spielgruppen (die sowohl für die jüngeren als auch für die älteren Kinder wertvoll sind) und eine Erziehung, in der das Kind lernt, sich selbst zu unterhalten, statt es mit vorfabriziertem »Lernspielzeug«, Videospielen und anderen Fertig-Unterhaltungsmedien in seiner Entwicklung zu behindern. Manche dieser Maßnahmen individuell einzuführen kann sich als schwierig erweisen, wenn die Nachbarn oder das soziale Umfeld als Ganzes sich nicht verändern: Wenn alle Kinder im Wohnviertel Videospiele haben und nur in unserem Haus gibt es sie nicht, wollen die Kinder sich unter Umständen fast ständig bei Gleichaltrigen aufhalten. Dennoch lohnt es sich, ernsthaft über solche Möglichkeiten nachzudenken: Die Selbständigkeit, Selbstsicherheit und zwischenmenschliche Reife der Kinder in traditionellen Gesellschaften beeindrucken alle Besucher, die sie kennenlernen.
Auch etwas anderes können wir individuell tun: Wir können die Gefahren, die sich mit unserer Lebensweise verbinden, realistisch einschätzen und uns gezielt eine konstruktive Paranoia nach neuguineischem Vorbild zu eigen machen. Meine Freunde aus Neuguinea haben gelernt, im Dschungel nicht unter abgestorbenen Bäumen zu schlafen und aufmerksam auf scheinbar harmlose, abgebrochene Stöcke im Boden zu achten – obwohl sie mit großer Wahrscheinlichkeit Dutzende von Nächten unter toten Bäumen schlafen und Dutzende von scheinbar harmlosen Stöcken ignorieren könnten, ohne in Schwierigkeiten zu geraten. Eines aber wissen sie: Wenn sie Hunderte von Malen solche Unvorsichtigkeiten begehen, wird der Zufall sie eines Tages einholen. Für uns im Westen gehen die größten Gefahren des Lebens nicht von abgestorbenen Bäumen oder Stöcken im Boden aus, aber auch nicht von Terroristen, Kernreaktoren, Flugzeugabstürzen und anderen spektakulären, unter realistischen Gesichtspunkten aber bedeutungslosen Risiken, über die wir uns so viele Gedanken machen. Vielmehr zeigt die Unfallstatistik, dass die meisten Menschen ihre konstruktive Paranoia auf (selbst oder von anderen gelenkte) Autos, Alkohol (den wir selbst oder andere konsumieren), und (insbesondere wenn wir älter werden) Trittleitern sowie das Ausrutschen in der Dusche richten sollten. Für jeden von uns bestehen darüber hinaus
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