Vermächtnis
darin, wieder friedliche Beziehungen zwischen bisherigen Feinden herzustellen und die Möglichkeit zu schaffen, wieder gefahrlos im Dorf Goti zu wohnen. Die feindlichen Clans hatten ebenfalls etwas auszusetzen, weil es angeblich Übergriffe auf ihr Land gegeben hatte und weil einige ihrer Mitglieder von Leuten aus Goti getötet worden waren. Nach den Verhandlungen erklärten beide Seiten, sie seien zufriedengestellt, und waren bereit, ihre unfreundlichen Gefühle hintanzustellen; Grundlage war das Abkommen, wonach die feindlichen Clans Schweine und andere Waren erhielten, die Menschen von Goti ihr früheres Land wieder in Besitz nehmen konnten und beide Seiten sich nicht mehr vor weiteren Angriffen fürchten mussten.
Lebenslange Beziehungen
Da Netzwerke der zwischenmenschlichen Beziehungen in der traditionellen Gesellschaft Neuguineas in der Regel wichtiger und dauerhafter sind als in den Staatsgesellschaften des Westens, strahlen die Folgen von Meinungsverschiedenheiten auch häufiger über die unmittelbar Beteiligten hinaus aus, und das in einem Umfang, der für jemanden aus dem Westen schwer zu verstehen ist. Uns als Mitgliedern der Industriegesellschaften erscheint es absurd, dass es zu einem Krieg zwischen zwei Clans kommen kann, wenn ein Schwein, das einem Angehörigen des einen Clans gehört, den Garten eines Mitglieds des anderen Clans beschädigt; für die Hochlandbewohner Neuguineas sind solche Folgen überhaupt nicht verwunderlich. Die wichtigen Beziehungen, in die ein Neuguineer hineingeboren wird, behält er in der Regel während seines ganzen Lebens bei. Wegen solcher Beziehungen erhält jeder Neuguineer die Unterstützung vieler anderer Menschen, sie bringen aber auch Verpflichtungen gegenüber vielen anderen Menschen mit sich. Natürlich haben wir auch im Westen dauerhafte soziale Beziehungen, aber wir gehen solche Beziehungen während unseres Lebens viel häufiger neu ein und geben sie häufiger auf als Neuguineer; außerdem leben wir in einer Gesellschaft, in der es belohnt wird, wenn man nach vorn blickt. In Neuguinea handelt es sich deshalb bei den Konfliktparteien, die eine Ausgleichszahlung erhalten oder zahlen, nicht nur um die unmittelbar Beteiligten, beispielsweise Malo und Billys Eltern, sondern auch um entferntere Angehörige beider Seiten: Billys Clanmitglieder, bei denen man fürchtete, sie könnten zur Vergeltung töten; Malos Arbeitskollegen, die potentielle Zielscheiben der Vergeltung darstellten und deren Arbeitgeber den Schadenersatz zahlte; und schließlich alle Mitglieder von Malos Großfamilie oder Clan, die ebenfalls zum Ziel von Racheakten werden konnten und die Zahlung hätten aufbringen müssen, wenn Malo nicht bei einer Firma angestellt gewesen wäre. Ähnlich liegen die Dinge, wenn ein Ehepaar in Neuguinea die Absicht hat, sich scheiden zu lassen: Dann sind auch andere betroffen und beteiligen sich weit mehr als im Westen an den Diskussionen um die Trennung. Bei diesen anderen handelt es sich um folgende Personen: die Angehörigen des Ehemannes, die den Brautpreis bezahlt haben und nun seine Rückzahlung fordern; die Angehörigen der Ehefrau, die den Brautpreis erhalten haben und nun mit der Forderung nach Rückzahlung konfrontiert sind; und die beiden Clans, für die die Ehe unter Umständen eine bedeutende politische Allianz dargestellt hat, die nun durch die Scheidung bedroht ist.
Das Gegenteil dieser überragenden Bedeutung zwischenmenschlicher Netzwerke in den traditionellen Gesellschaften finden wir in den modernen Staatsgesellschaften und insbesondere in den Vereinigten Staaten: Hier liegt das Schwergewicht viel stärker beim Einzelnen. Wir lassen nicht nur zu, dass der Einzelne weiterkommt, gewinnt und sich auf Kosten anderer Vorteile verschafft, sondern wir fördern ein solches Verhalten sogar. In vielen geschäftlichen Transaktionen bemühen wir uns darum, den eigenen Gewinn zu maximieren, und dabei kümmern wir uns nicht um die Gefühle der Person auf der anderen Seite des Tisches, der wir einen Verlust zufügen konnten. Selbst Kinderspiele sind in den Vereinigten Staaten in der Regel Wettbewerbe mit Gewinnern und Verlierern. In der traditionellen Gesellschaft Neuguineas ist das anders: Hier geht es im Spiel der Kinder nicht um Gewinnen und Verlieren, sondern um Kooperation.
So beobachtete beispielsweise die Anthropologin Jane Goodall eine Gruppe von Kindern aus dem Volk der Kaulong in Neubritannien, denen sie eine Bananenstaude gegeben hatte, so dass jedes
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