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Vermächtnis

Vermächtnis

Titel: Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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dann geforderten Betrag schätzte Malo (für den Fall, dass er eindeutig an Billys Tod schuld war) auf ungefähr fünf Schweine, 10 000 Kina (fast 4000  Euro) und eine größere Menge lokaler Lebensmittel, darunter eine Bananenstaude, Taro, Süßkartoffeln, Sago, Gartengemüse und Trockenfisch.
    Weiter erkundigte ich mich, was geschehen wäre, wenn Malo nicht Fahrer eines Unternehmens gewesen wäre, sondern ein privater Neuguineer, und wenn die Firma demnach nicht in die Sache verwickelt wäre. Darauf erwiderte Malo, in einem solchen Fall würden die Schadenersatzverhandlungen von seiner Seite nicht durch seinen Arbeitskollegen Yaghean geführt, sondern von einem seiner Onkel oder von einem Dorfältesten. Auch die Schadenersatzsumme selbst würde dann nicht von der Firma gezahlt, sondern von Malos ganzem Dorf einschließlich seiner Familie, den anderen Angehörigen seines Clans und auch von Dorfbewohnern, die zu anderen Clans gehörten; sie alle hätte Malo um Hilfe bitten können, um den Betrag aufzubringen. Damit wäre Malo gegenüber allen, die etwas beigetragen hatten, eine Verpflichtung eingegangen. Zu irgendeinem späteren Zeitpunkt hätte Malo dann an diese Leute für ihre Beiträge und an seine Onkel für die Mühe, die Verhandlungen zu führen, Zahlungen leisten müssen. Wäre Malo gestorben, bevor er gezahlt hatte, hätten die Spender und seine Onkel die Zahlung von Malos Familie und seinem Clan eingefordert. Abgesehen von diesen Unterschieden in der Person des Verhandlungsführers und der Herkunft des Geldes wäre der Schadenersatzprozess aber genauso abgelaufen, auch wenn das Unternehmen nicht beteiligt gewesen wäre.
    Was hat der Staat getan?
    Der hier wiedergegebene Ablauf ist ein Beispiel dafür, wie traditionelle Mechanismen in Neuguinea den friedlichen Umgang mit einem Verlust ermöglichen, den Menschen durch das Handeln anderer erlitten haben. Er steht im krassen Gegensatz zum Umgang der westlichen Justiz mit solchen Verlusten. Im Fall von Billy und Malo reagierte der Staat Papua-Neuguinea damit, dass die Polizei sich nicht mit der Trauer oder den Rachegefühlen von Billys Verwandten beschäftigte, sondern Malo wegen Verkehrsgefährdung anzeigte. Obwohl Billys Angehörige einschließlich seines Onkels Genjimp, der tatsächlich Zeuge des Unfalls gewesen war, diesen nicht auf Malos Fahrweise zurückführten, behauptete die Polizei, er sei zu schnell gefahren. Malo blieb viele Monate in seinem Dorf und kam nur in die Stadt, wenn er von der Polizei vorgeladen wurde. Er hatte immer noch Angst vor möglichen Vergeltungsaktionen hitzköpfiger junger Tieflandbewohner. Die anderen Bewohner von Malos Dorf blieben in Alarmbereitschaft und hielten sich bereit, um ihn im Fall eines solchen Angriffs zu beschützen.
    Nach der ersten Vernehmung durch die Polizei vergingen mehrere Monate, bevor Malo zum zweiten Mal vorgeladen wurde. Dieses Mal erhielt er die Anweisung, zweimal in der Woche in die Stadt zu kommen und sich bei der Verkehrspolizei zu melden, während er gleichzeitig darauf wartete, dass sein Fall vor Gericht verhandelt wurde. Jeder derartige Besuch endete damit, dass Malo zwischen einem halben und einem ganzen Tag im Büro der Verkehrspolizei warten musste. Bei der zweiten Vernehmung wurde ihm der Führerschein abgenommen. Da Malo bei dem Unternehmen als Fahrer angestellt war, bedeutete der Verlust des Führerscheins auch den Verlust des Arbeitsplatzes.
    Die Anklage gegen Malo wegen Gefährdung wurde schließlich eineinhalb Jahre später vor Gericht verhandelt. Während dieser ganzen Zeit wohnte Malo in Ungewissheit in seinem Dorf und war arbeitslos. Als er schließlich am angesetzten Gerichtstermin zum Prozess erschien, stellte sich heraus, dass der zuständige Richter andere Verpflichtungen hatte, und der Termin musste für drei Monate später neu angesetzt werden. Auch bei diesem zweiten Termin konnte der Richter nicht erscheinen, und ein dritter wurde wiederum für drei Monate später anberaumt. Dieser dritte und auch ein vierter Termin mussten wiederum verschoben werden, weil es immer noch Probleme mit dem Richter gab. Beim fünften Prozesstermin schließlich – seit dem Unfall waren mittlerweile zweieinhalb Jahre vergangen – war der Richter tatsächlich anwesend, und der Fall wurde verhandelt. Dieses Mal jedoch erschien der vom Staatsanwalt vorgeladene Polizeibeamte nicht, und der Richter musste die Klage abweisen. Damit war die staatliche Beteiligung im Fall von Billy und Malo beendet. Man

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