Vermächtnis
Kind eine Banane bekommen konnte. Die Kinder spielten weiter ihr Spiel. Statt eines Wettbewerbes, in dem jedes Kind sich um die größte Banane bemühte, schnitten die Kinder ihre Bananen jeweils in zwei gleiche Hälften, aßen die eine, boten die andere Hälfte einem anderen Kind an und erhielten von diesem im Gegenzug ebenfalls eine halbe Banane. Dann schnitt jedes Kind diese noch nicht verzehrte halbe Banane wiederum in zwei gleich große Stücke, aß eines der so entstandenen Viertel, bot das andere Viertel einem weiteren Kind an, und erhielt von diesem wiederum im Gegenzug eine viertel Banane. Das Spiel durchlief vier oder fünf Zyklen: Der Bananenrest wurde in Achtel und dann in Sechzehntel geteilt, und schließlich aß jedes Kind das Stückchen, das ein Zweiunddreißigstel der ursprünglichen Banane darstellte; das andere Zweiunddreißigstel gab es an ein anderes Kind weiter, und schließlich aß es das letzte Zweiunddreißigstel einer anderen Banane von wiederum einem anderen Kind. Das ganze Ritual war Teil einer Übung, durch die Kinder in Neuguinea lernen, zu teilen und nicht den eigenen Vorteil zu suchen.
Ein weiteres Beispiel dafür, wie wenig Wert die traditionelle Gesellschaft Neuguineas auf den individuellen Vorteil legt, lieferte mir ein Teenager namens Mafuk. Er war fleißig, ehrgeizig und arbeitete mehrere Monate für mich. Als ich ihm seinen Lohn auszahlte und ihn fragte, was er mit dem Geld vorhabe, erwiderte er, er wolle sich davon eine Nähmaschine kaufen, mit der er die zerrissenen Kleidungsstücke anderer Menschen reparieren konnte. Er wollte sich für die Reparaturen bezahlen lassen, damit seine ursprüngliche Investition hereinholen und vervielfachen, und mit dem gesparten Geld sein Schicksal verbessern. Aber Mafuks Angehörige hielten das für Egoismus und waren empört. In dieser sesshaften Gesellschaft würde es sich bei den Menschen, deren Kleidung Mafuk reparieren wollte, natürlich um Bekannte handeln, in der Mehrzahl wahrscheinlich um mehr oder weniger enge Verwandte. Deshalb widersprach es den gesellschaftlichen Normen, wenn Mafuk sich selbst einen Vorteil verschaffte, indem er von ihnen Geld annahm. Man erwartete vielmehr von ihm, dass er ihre Kleidung umsonst reparierte, und dafür würden seine Bekannten ihn während seines ganzen Lebens in anderer Hinsicht unterstützen – beispielsweise würden sie zu dem Brautpreis beitragen, wenn er einmal heiratete. Auch Goldgräber in Gabun, die ihr Gold und Geld nicht mit neidischen Freunden und Verwandten teilen, werden zum Ziel von Zauberern, die angeblich dafür sorgen können, dass ihre Opfer das in der Regel tödliche hämorrhagische Ebola-Fieber bekommen.
Wenn Missionare aus dem Westen, die mit ihren kleinen Kindern in Neuguinea gelebt haben, nach Australien oder in die Vereinigten Staaten zurückkehren, oder wenn sie ihre Kinder in ein Internat im Heimatland schicken, dann, so erzählen mir die Kinder, haben sie mit der Anpassung vor allem ein Problem: Sie müssen mit der egoistisch-individualistischen Art im Westen zurechtkommen und die Vorliebe für Kooperation und Teilen, die sie bei den Kindern in Neuguinea gelernt haben, ablegen. Sie berichten, wie sie sich dafür schämen, wenn sie sich im Spiel Konkurrenz machen und gewinnen wollen, wenn sie in der Schule nach hervorragenden Leistungen streben, oder wenn sie sich einen Vorteil oder eine Gelegenheit verschaffen wollen, die ihre Kameraden nicht haben.
Andere nichtstaatliche Gesellschaften
Welche Unterschiede bestehen zwischen verschiedenen nichtstaatlichen Gesellschaften hinsichtlich der Konfliktlösung? Wie im Fall von Billy und Malo auf Vermittlung zu setzen, mag in traditionellen neuguineischen Dörfern funktionieren, in anderen Gesellschaften ist es aber unter Umständen unnötig oder wirkungslos. Wie sich herausstellt, gibt es ein praktisch ununterbrochenes Spektrum von kleinen Gesellschaften ohne zentrale Autorität oder Justiz über Häuptlingstümer, in denen der Häuptling viele Konflikte beilegt, und schwache Staaten, in denen Einzelne das Recht häufig in die eigene Hand nehmen, bis hin zu den starken Staaten, die eine wirksame Autorität ausüben. Betrachten wir einmal die friedliche Konfliktlösung in fünf verschiedenen nichtstaatlichen Gesellschaften, von solchen, die noch kleiner sind als neuguineische Dörfer, bis hin zu einer großen Gesellschaft mit den ersten Ansätzen einer politischen Zentralisierung (Abb. 15 ) .
Wir beginnen mit Konflikten in den
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