Vermächtnis
Deutschland nur für die allerschlimmsten Verbrechen vorgesehen sind (zum Beispiel für den bekannten Serienmord in der Nachkriegszeit, in dem eine Krankenschwester verurteilt wurde, die in einem deutschen Krankenhaus 28 Patienten durch Injektionen eines tödlichen Medikamentencocktails getötet hatte). Eine langfristige Gefängnisstrafe ist zwar in den USA traditionell nur für schwere Verbrechen vorgesehen, aber nach der Politik des »dreimal, dann bist du raus«, die mein Heimatstaat Kalifornien sich heute zu eigen gemacht hat,
müssen
die Richter lange Haftstrafen verhängen, wenn ein Verbrecher nach zwei früheren Verurteilungen wegen schwerer Verbrechen wiederum verurteilt wird – und zwar selbst dann, wenn es sich bei der dritten Gesetzesübertretung um ein Kleindelikt wie den Diebstahl einer Pizza handelt. Dies hat unter anderem zur Folge, dass der Geldbetrag, den Kalifornien heute für seine Gefängnisse aufwendet, fast an den Etat für die akademische Bildung an Colleges und Universitäten heranreicht. Nach Ansicht von Bürgern, die gegen eine solche Verwendung öffentlicher Gelder sind, werden damit nicht nur die menschlichen Prioritäten auf den Kopf gestellt, sondern es ist auch eine wirtschaftlich schlechte Politik. Nach ihrer Auffassung ließe sich die in jüngster Zeit so häufig beklagte wirtschaftliche Notlage Kaliforniens am besten dadurch lindern, dass man weniger Geld dafür aufwendet, Verbrecher wegen kleinerer Vergehen lange Zeit ins Gefängnis zu stecken, und stattdessen mit dem Geld die Verbrecher resozialisiert, damit sie schnell in produktive Arbeitsverhältnisse zurückkehren, und indem man außerdem mehr Geld für die Ausbildung der nicht inhaftierten Kalifornier investiert, damit sie hoch bezahlte Arbeitsplätze annehmen können. Ob die scharfen Strafen in den Vereinigten Staaten tatsächlich eine wirksame Abschreckung darstellen, ist nicht geklärt.
Der dritte Zweck der Bestrafung verurteilter Verbrecher ist ihre Resozialisierung: Sie sollen wieder zu Mitgliedern der Gesellschaft werden, ein normales Leben führen können und einen wirtschaftlichen Beitrag leisten, statt der Gesellschaft als Insassen eines teuren Gefängnisses hohe Kosten aufzubürden. Resozialisierung statt Vergeltung ist in Europa das Kernstück der Strafjustiz. Ein deutsches Gericht verbot beispielsweise die Ausstrahlung eines Dokumentarfilms, in dem die Mitwirkung eines Verbrechers an einer berüchtigten Tat zutreffend wiedergegeben wurde. Die Begründung: Das Recht des Verbrechers, seine Resozialisierung nachzuweisen, und sein Recht auf eine faire Chance, nach seiner Gefängnisstrafe auf gesunde Weise in die Gesellschaft zurückzukehren, wurde höher bewertet als die Pressefreiheit oder das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Spiegelt sich in einer solchen Sichtweise eine größere Sorge der Europäer um Menschenwürde, Fürsorge und Gnade wider, während alttestamentarische Vergeltung und Redefreiheit im Vergleich zu den Vereinigten Staaten eine geringere Rolle spielen? Und wie wirksam ist die Resozialisierung eigentlich? Im Fall der Pädophilen beispielsweise scheint sie nur in begrenztem Umfang zu funktionieren.
Wiederherstellende Justiz
In unserer Erörterung der Zielsetzungen staatlicher Strafjustiz fehlen bisher die wichtigsten Ziele der staatlichen Ziviljustiz (den Geschädigten in den früheren Stand zu versetzen) und der nichtstaatlichen Konfliktlösung (Wiederherstellung von Beziehungen und emotionale Verarbeitung). In beiden Fällen geht es um die Bedürfnisse des Verbrechensopfers, und beide sind keine Hauptziele unserer Strafjustiz, auch wenn sie in gewissem Umfang berücksichtigt werden. Das Opfer oder seine Angehörigen können nicht nur durch Zeugenaussagen zur Verurteilung eines Angeklagten beitragen, sondern vor der Urteilsverkündung wird ihnen unter Umständen auch gestattet, sich in Gegenwart des Angeklagten an das Gericht zu wenden und die emotionalen Auswirkungen des Verbrechens zu schildern. Und was die Wiederherstellung des früheren Standes angeht, so gibt es in manchen Staaten Opferentschädigungsfonds, die aber in der Regel nur klein sind.
Ein Beispiel ist der öffentlichkeitswirksamste Kriminalfall der jüngeren amerikanischen Geschichte, der Prozess gegen den ehemaligen Footballstar O. J. Simpson wegen des Mordes an seiner Frau Nicole und ihrem Freund Ron Goldman. Nach einem Verfahren, das acht Monate gedauert hatte, wurde Simpson für nicht schuldig erklärt. Die
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