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Vermächtnis

Vermächtnis

Titel: Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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kostspieligem Kampf einigen.
    Wenn unsere Staatsgesellschaften mehr Geld für Vermittler und Familienrichter aufwenden würden, könnten viele Scheidungs- und Erbfolgeprozesse kostengünstiger, mit weniger verletzten Gefühlen und schneller abgewickelt werden; für eine Vermittlung sind vermutlich weniger Geld, emotionale Energie und Zeit erforderlich als für einen verbitterten Prozess vor Gericht, der ohne Vermittlung stattfindet. Scheidungswillige Paare, die damit einverstanden sind und über genügend Mittel verfügen, könnten sich solche Vorteile sichern, indem sie sich aus dem System der Familiengerichte ausklinken und stattdessen pensionierte Richter engagieren, die ihre Streitigkeiten beilegen. Der pensionierte Richter würde dann einen Pseudoprozess führen und einen hohen Stundensatz berechnen, aber diese Gebühr würde weitaus niedriger liegen als die Honorare für eine wochenlange Anwaltstätigkeit. Aufgabe des Richters wäre es dann, zu einer für alle befriedigenden Lösung zu gelangen, und er steht nicht so unter Zeitdruck wie die Richter in den Familiengerichten. Die Anhörung läuft nach einem berechenbaren Zeitplan ab: Die Beteiligten wissen, dass sie an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Uhrzeit stattfinden wird, und sie müssen nicht mehrere Stunden vorher erscheinen, nur weil niemand genau weiß, ob der Richter sich bei vorhergehenden Fällen verspätet, wie es in Prozessen häufig geschieht.
    Ich möchte den Wert der Vermittlung nicht übertreiben und auch nicht unterstellen, sie sei ein Allheilmittel. Das Ergebnis kann man geheim halten, so dass es weder zu einem juristischen Präzedenzfall wird noch einem umfassenderen erzieherischen Zweck dient. Prozessparteien, die einer Vermittlung zustimmen, wissen, dass der Fall bei einem Scheitern nach den üblichen juristischen Kriterien von Recht, Unrecht, Schuld und Verantwortung abgeurteilt wird; die Vermittler haben also nicht die völlige Freiheit, andere Kriterien anzulegen. Viele Prozessbeteiligte wollen vor Gericht angehört werden, sind mit einer Vermittlung nicht einverstanden und widersetzen sich, wenn sie dazu gedrängt oder gezwungen werden.
    Ein berühmtes Beispiel geht auf einen Vorfall zurück, der sich am 22 . Dezember 1984 in New York ereignete: Auf einen Mann namens Bernard Goetz kamen vier junge Männer zu, die er für Straßenräuber hielt. Er zog eine Pistole, erschoss alle vier in angeblicher Notwehr und wurde anschließend von einem Geschworenengericht wegen versuchten Mordes angeklagt. Der Fall löste hitzige, kontroverse Diskussionen aus: Manche Leute lobten ihn, weil er den Mut gehabt hatte, sich zu wehren, andere verurteilten ihn wegen Überreaktion und Selbstjustiz. Erst später wurde der Hintergrund bekannt: Goetz war tatsächlich vier Jahre zuvor von drei jungen Männern überfallen, verfolgt und schwer verprügelt worden. Einer der Schläger wurde gefasst, erstattete dann aber listig Anzeige gegen Goetz und behauptete, er sei von diesem angegriffen worden. Daraufhin lud das Gericht Goetz und den Straßenräuber zu einem Vermittlungsgespräch ein. Goetz schlug die Einladung aus und erfuhr nie, dass der Straßenräuber später wegen eines weiteren Überfalls zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Goetz kaufte sich eine Waffe; er hatte das Vertrauen in die Justiz verloren, die in seinen Augen nichts anderes zu bieten hatte als Vermittlungsgespräche zwischen Räubern und Opfern. Der Fall ist zwar ungewöhnlich, es bleibt aber die traurige Wahrheit, dass unsere Gerichte überlastet sind und nicht selten Gütetermine auch dann vorschlagen oder anordnen, wenn die Beteiligten strikt gegen eine Vermittlung sind. Diese Tatsachen sollten uns aber nicht blind dafür machen, dass Vermittlungsgespräche in vielen Fällen einen Wert haben, und entsprechend sollten wir in diesen Weg nicht zu wenig investieren.
    Zum Abschluss meiner Ausführungen über Vermittlung und emotionale Verarbeitung möchte ich zitieren, was einer meiner Kollegen, der Jurist Professor Mark Grady von der University of California in Los Angeles Law School, über das Pro und Kontra zu sagen hat: »Viele Menschen wenden ein, es sei nicht Sache des Staates, sich mit beschädigten persönlichen Beziehungen und Gefühlen zu beschäftigen. Sie vertreten die Ansicht, nur ein ›Bevormundungsstaat‹ würde diese Aufgabe übernehmen, und wenn ein Staat auch nur versuche, persönliche Beziehungen und geschädigte Gefühle zu reparieren, sei dies eine Bedrohung

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