Vermächtnis
vorübergehend zu einem Anstieg der Opferzahlen – in der neuseeländischen Geschichte ist von den Musketenkriegen die Rede. Ein Faktor waren natürlich die neu eingeführten Musketen, mit denen die Maori sich gegenseitig viel wirksamer töten konnten als früher mit Knüppeln als einziger Bewaffnung. Der zweite mag überraschend erscheinen, denn wir sehen darin in der Regel keine Kriegsursache: die Kartoffeln. Wie sich jedoch herausgestellt hat, waren Dauer und Umfang von Feldzügen, mit denen einzelne Maori-Gruppen andere angriffen, durch die Menge an Nahrung begrenzt, die man zur Ernährung der Krieger mitnehmen konnte. Ursprünglich waren Süßkartoffeln das Grundnahrungsmittel der Maori. Die von Europäern eingeführten Kartoffeln (die ihren Ursprung allerdings in Südamerika haben) sind in Neuseeland ertragreicher als Süßkartoffeln, liefern größere Nahrungsüberschüsse und schufen damit die Möglichkeit, größere Überfallkommandos für längere Zeiträume auf den Weg zu schicken als früher, als die Maori noch auf Süßkartoffeln angewiesen waren. Nach der Einführung der Kartoffeln brachen die Maori mit ihren Kanu-Feldzügen, auf denen sie andere Maori versklavten oder töteten, alle früheren Entfernungsrekorde: Sie legten jetzt Strecken von mehr als 1500 Kilometern zurück. Anfangs konnten nur die wenigen Stämme, in deren Regionen sich europäische Kaufleute angesiedelt hatten, Musketen erwerben und damit Stämme ohne Feuerwaffen vernichten. Als die neuen Waffen sich allmählich verbreiteten, erreichten die Musketenkriege einen Höhepunkt; nachdem aber alle überlebenden Stämme über die neuen Waffen verfügten, gab es keine wehrlosen Zielgruppen mehr, und die Konflikte verliefen im Sande.
Auch auf den Fidschi-Inseln versetzte die Einführung europäischer Musketen 1808 die Einheimischen in die Lage, sich gegenseitig in viel größerer Zahl zu töten, als es ihnen traditionell mit Knüppeln, Speeren und Pfeilen möglich gewesen war. Auf den Salomoneninseln erleichterten europäische Feuerwaffen, Schiffe und Stahläxte im 19 . Jahrhundert vorübergehend die Kopfjagd zwischen den Inseln: Anders als mit einer Steinaxt kann man mit einer Axt aus Stahl viele Menschen enthaupten, ohne dass ihre scharfe Schneide stumpf wird. Ebenso verstärkten europäische Feuerwaffen und Pferde die Konflikte auf den Großen Ebenen Nordamerikas, und in Zentralafrika hatten europäische Waffen und Sklavenhändler die gleiche Wirkung. In allen diesen Gesellschaften kannte man die Kriegsführung schon lange vor Eintreffen der ersten Europäer, diese lösten aber für einige Jahrzehnte (Neuseeland, Fiji, Salomonen) oder wenige Jahrhunderte (Nordamerika, Zentralafrika) eine Verschärfung der Konflikte aus, bevor die Kämpfe einschliefen.
In anderen Fällen führte das Eintreffen von Europäern oder anderer Besucher zur Beendigung der Kriege, ohne dass es Hinweise auf eine vorherige Verstärkung gäbe. In vielen Regionen des Hochlandes von Neuguinea handelte es sich bei den ersten Europäern um Regierungspatrouillen, die sofort für ein Ende der Kriege sorgten; erst danach erschienen europäische Kaufleute, Missionare oder auch nur indirekt weitergegebene europäische Handelswaren auf der Bildfläche. Als Anthropologen in den 1950 er Jahren erstmals die Horden der !Kung in Afrika studierten, führten diese untereinander keine Überfälle mehr aus, einzelne Morde innerhalb der Horden oder zwischen Nachbargruppen kamen jedoch bis 1955 noch häufig vor. Nach vier der fünf letzten Morde ( 1946 , 1952 , 1952 und 1955 ) brachte die Tswana-Regierung die Mörder ins Gefängnis, und da nun außerdem die Tswana-Gerichte zur Beilegung von Konflikten zur Verfügung standen, gaben die !Kung nach 1955 den Mord als Mittel zur Konfliktlösung auf. Nach der mündlichen Überlieferung der !Kung gab es aber einige Generationen zuvor noch Überfälle zwischen den einzelnen Horden; sie setzten sich fort, bis der verstärkte Kontakt mit den Tswana zur Einführung von Eisen für Pfeilspitzen und anderen Veränderungen führte. Aus irgendeinem Grund sorgte dieser Kontakt für ein Ende der Überfälle, lange bevor die Tswana-Polizei eingriff und Mörder festnahm.
Mein letztes Beispiel stammt aus dem Nordwesten Alaskas. Dort gingen die zuvor weitverbreiteten Konflikte und Tötungen zwischen Yupik und Iñupiaq innerhalb eines Jahrzehnts oder einer Generation nach dem Erstkontakt mit Europäern zu Ende, und zwar nicht weil Patrouillenbeamte,
Weitere Kostenlose Bücher