Vermächtnis
Polizei und Gerichte den Krieg verboten hätten, sondern weil der Kontakt andere Folgen hatte. Das Ende der Kriege bei den Yupik wird auf eine Pockenepidemie im Jahr 1838 zurückgeführt, die mehrere Gruppen dezimierte. Bei den Iňupiaq war die Ursache für das Ende des Krieges wahrscheinlich die chronische Versessenheit dieses Volkes auf den Handel und die stark gewachsenen neuen Möglichkeiten, Pelze an Europäer zu verkaufen, mit denen man seit 1848 regelmäßig in Kontakt stand. Eine Weiterführung der bewaffneten Konflikte wäre solchen Handelsgelegenheiten natürlich abträglich gewesen.
Langfristig hatte also der Kontakt von Europäern, Tswana oder anderen äußeren Staaten oder Häuptlingstümern fast immer zur Folge, dass Stammeskriege unterdrückt wurden. Kurzfristig waren die Auswirkungen unterschiedlich – entweder trat die Unterdrückung sofort ein, oder die Konflikte flammten anfangs auf, um dann zu verschwinden. Dass die traditionellen Kriege ein künstliches Produkt des Kontakts mit Europäern wären, kann man jedenfalls nicht behaupten.
Dennoch wurde die traditionelle Kriegsführung unter westlichen Wissenschaftlern lange geleugnet. Der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau, der bereits mit seiner spekulativen, auf keinerlei empirische Belege gestützten Theorie der Entstehung von Staaten erwähnt wurde, vertrat eine ebenso spekulative und unbegründete Theorie über Kriege: Er behauptete, Menschen seien in einem Naturzustand grundsätzlich mitfühlend, und Kriege hätten erst mit der Entstehung von Staaten begonnen. Ausgebildete Ethnographen, die im 20 . Jahrhundert traditionelle Gesellschaften studierten, hatten es meist mit Stämmen und Horden zu tun, die bereits durch Kolonialregierungen befriedet waren. Erst in den 1950 er und 1960 er Jahren konnten Anthropologen im Hochland Neuguineas und im Amazonasgebiet die letzten traditionellen Kriege miterleben. Wenn Archäologen die mit früheren Kriegen verbundenen Befestigungen ausgruben, neigten sie häufig dazu, diese zu übersehen, nicht zur Kenntnis zu nehmen oder anders zu erklären, beispielsweise indem Verteidigungsgräben und Palisaden rund um ein Dorf schlicht als »Einfriedungen« oder »Symbole des Ausschlusses« abgetan wurden. In Wirklichkeit sprechen aber so überwältigende Belege – indirekte Beobachtungen, mündliche Überlieferung oder archäologische Befunde – für die traditionelle Kriegsführung, dass man sich fragen muss, warum überhaupt noch über ihre Wichtigkeit diskutiert wird.
Ein Grund sind die bereits erörterten echten Schwierigkeiten, die traditionelle Kriegsführung unter den Bedingungen vor oder kurz nach dem Erstkontakt mit Europäern zu beurteilen. Krieger merken sehr schnell, dass Anthropologen, die zu Besuch kommen, dem Krieg ablehnend gegenüberstehen, und sie nehmen die Anthropologen in der Regel auch weder zu Überfällen mit noch gestatten sie ihnen, Kämpfe ungestört zu fotografieren: Dass die Peabody-Expedition der Harvard University bei den Dani filmen konnte, war eine Ausnahme. Ein weiterer Grund liegt darin, dass der Kontakt mit Europäern kurzfristig gegensätzliche Auswirkungen auf Stammeskrieger haben kann, die man dann in jedem Einzelfall aufgeschlossen bewerten muss. Aber die allgemein verbreitete Leugnung der traditionellen Kriegsführung scheint nicht ausschließlich in diesen und anderen Unsicherheiten der Befunde selbst begründet zu sein, sondern es besteht offensichtlich ein Widerwille, die Belege für ihre Existenz oder ihr Ausmaß anzuerkennen. Warum?
Wahrscheinlich spielen mehrere Gründe mit. Wissenschaftler neigen dazu, die traditionellen Völker, bei denen sie über mehrere Jahre leben, gernzuhaben, sich mit ihnen zu identifizieren oder mit ihnen zu sympathisieren. Die Wissenschaftler halten Krieg aber für etwas Schlechtes, sie wissen, dass auch die meisten Leser ihrer Bücher den Krieg für etwas Schlechtes halten werden, und wollen nicht, dass »ihr« Volk als schlecht beurteilt wird. Ein anderer Grund liegt in unbegründeten Behauptungen (von denen später noch die Rede sein wird), wonach die Kriegsführung beim Menschen eine unentrinnbare genetische Grundlage hat. Dies führt zu der falschen Annahme, Krieg sei unaufhaltsam, und damit widersetzt man sich auch der scheinbar deprimierenden Schlussfolgerung, dass Krieg traditionell tatsächlich weit verbreitet war. Ein dritter Grund liegt darin, dass manche Staats- oder Kolonialregierungen erpicht darauf sind,
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