Vermächtnis
Machiguenga-Indianer: Sie leben in einer abgelegenen Umwelt im Wald, an der andere kein Interesse haben, in der es keine guten Ackerflächen gibt, deren Dichte oder Zuverlässigkeit einen Krieg oder die Verteidigung lohnen würde, und in der die Bevölkerungsdichte derzeit niedrig ist, möglicherweise weil die Bevölkerung erst vor kurzer Zeit während des Kautschukbooms zusammengebrochen ist.
Man kann also nicht behaupten, manche Gesellschaften seien von ihrem Wesen her oder aus genetischen Gründen friedlich, während andere von Natur aus gern Krieg führen. Vielmehr sieht es so aus, als würden Gesellschaften sich des Krieges bedienen oder auch nicht, je nachdem, ob es für sie Gewinn bringen kann, einen Krieg anzufangen, und/oder ob sie sich in einem Krieg, den andere begonnen haben, verteidigen müssen. Die meisten Gesellschaften waren tatsächlich in Kriege verwickelt, bei einigen war dies aber nicht der Fall, und das aus stichhaltigen Gründen. Manchmal wird zwar behauptet, solche Gesellschaften, die keinen Krieg geführt haben (beispielsweise die Semang, die !Kung und die afrikanischen Pygmäen), seien von Natur aus friedfertig, aber innerhalb der Gruppen dieser friedfertigen Menschen gibt es durchaus Gewalt (»Mord«); sie hatten nur ihre Gründe, anderen Gruppen gegenüber keine Gewalt auszuüben, auf die eine Kriegsdefinition passen würde. Als die normalerweise friedfertigen Semang in den 1950 er Jahren zur britischen Armee eingezogen wurden, um in Malaya kommunistische Rebellen ausfindig zu machen und zu töten, kamen sie dieser Aufgabe begeistert nach. Ebenso nutzlos ist eine Diskussion um die Frage, ob Menschen von ihrem Wesen her gewalttätig oder kooperativ sind. Alle menschlichen Gesellschaften praktizieren sowohl Gewalt als auch Kooperation; welches Merkmal dem Anschein nach das Übergewicht hat, hängt von den Umständen ab.
Motiv für traditionelle Kriege
Warum ziehen traditionelle Gesellschaften in den Krieg? Nach einer Antwort auf diese Frage kann man auf verschiedenen Wegen suchen. Die einfachste Methode besteht darin, nicht die angeblichen oder tieferen Motive der Menschen zu interpretieren, sondern einfach zu beobachten, welchen Nutzen siegreiche Gesellschaften aus einem Krieg ziehen können. Man kann aber auch – die zweite Methode – die Menschen nach ihren Motiven (den »unmittelbaren Kriegsgründen«) fragen. Die letzte Methode ist die Frage nach den wirklichen, tiefer liegenden Motiven (»letzte Kriegsgründe«).
Wie man beobachten kann, ist ein Sieg für traditionelle Gesellschaften in mehrfacher Hinsicht nützlich. Führen wir die wichtigsten Nutzeffekte einmal alphabetisch auf, ohne den Anspruch auf eine Rangfolge der Wichtigkeit zu erheben: Ehefrauen, Handelsrechte, gefangene Kinder, Köpfe (bei Kopfjägern), Kühe, Land, Landressourcen (Fischgründe, Obstplantagen, Gärten, Salzvorkommen und Steinbrüche), Leichen zum Essen (für Kannibalen), Prestige, Protein, Schweine und Sklaven.
Die Motive, die Menschen für ihre Kriegsbeteiligung anführen, müssen aber genau wie die Gründe für jede andere wichtige Entscheidung nicht mit dem beobachteten Nutzen übereinstimmen. Wie in anderen Lebensbereichen, so sind die Menschen sich auch hier unter Umständen nicht ihrer Triebkräfte bewusst, oder sie nennen sie nicht ehrlich. Welche Motive, Krieg zu führen, geben die Menschen an?
Die häufigste Antwort lautet: »Rache« für die Tötung anderer Angehöriger des eigenen Stammes oder der Horde; den meisten Stammeskonflikten gehen keine langen Friedenszeiten voraus, sondern andere Kämpfe. Beispiele aus dem in Kapitel 3 beschriebenen Krieg der Dani sind der Rachedurst der Wilihiman nach den Kämpfen oder Todesfällen vom Januar, vom 10 . und 27 . April, vom 10 . Juni, 5 . Juli und 16 . August 1961 , sowie bei den Widaia nach den Ereignissen vom 3 . und 10 . April und 29 . Mai.
Wenn Rache das Hauptmotiv ist, das für die Fortsetzung eines Krieges genannt wird, stellt sich die Frage: Welche Motive stecken hinter dem Beginn eines Krieges? Im Hochland Neuguineas hört man am häufigsten die Antworten »Frauen« und »Schweine«. Wie in anderen Teilen der Welt, so geben Frauen auch für die Männer in Neuguinea den Anlass zu eskalierenden Konflikten, wenn sie in Ehebruch, das Verlassen von Ehemännern, Entführungen, Vergewaltigung und Diskussionen um Brautpreise verwickelt sind oder zu ihrem Opfer werden. Auch die Yanomamo und viele andere Völker berichten, Frauen seien eine
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