Vermächtnis
männlicher Wilihiman-Dani von einer Dani-Frau gefragt wurde, warum er den Widaia-Mann töten wolle, antwortete er: »Diese Leute sind unsere Feinde, warum sollten wir sie nicht töten? – Das sind doch keine Menschen.«
Neben allen diesen Streitigkeiten um Menschen und Tiere werden als Kriegsmotive regelmäßig Konflikte um Land genannt. Ein typisches Beispiel sind die in Kapitel 1 beschriebenen Meinungsverschiedenheiten zwischen meinen Freunden aus dem Bergland Neuguineas und den benachbarten Menschen vom Fluss, in denen es um den Bergkamm zwischen ihren Dörfern ging.
Letzte Gründe
Mit der Aufzählung von Motiven, die Mitglieder von kleinen Gesellschaften für ihre Kriegsführung nennen – Frauen, Kinder, Köpfe und so weiter – ist die Liste nicht vollständig. Sie macht aber bereits deutlich, warum diese benannten Motive allein keine zufriedenstellende Erklärung für die traditionelle Kriegsführung bieten. Die Nachbarn jedes Menschen haben Frauen, Kinder, Köpfe und essbare Körper, und viele oder die meisten traditionellen Nachbarn haben Haustiere, praktizieren Zauberei und können für schlechte Menschen gehalten werden. Das Streben nach diesen Personen und Dingen oder Meinungsverschiedenheiten über sie führen nicht zwangsläufig zum Krieg. Selbst in besonders kriegsfreudigen Gesellschaften wird in der Regel zunächst versucht, auftretende Meinungsverschiedenheiten friedlich beizulegen, beispielsweise durch Zahlung von Schadenersatz (Kapitel 2 ). Nur wenn die Bemühungen um eine friedliche Lösung scheitern, greift die angegriffene Partei auf das Mittel des Krieges zurück. Warum scheitern Schadenersatzverhandlungen bei manchen Völkern häufiger als bei anderen? Warum gibt es solche Unterschiede, wenn Frauen und die anderen angeblichen Motive für Kriege allgegenwärtig sind?
Letztlich stehen hinter einem Krieg nicht unbedingt die Gründe, von denen die Beteiligten selbst überzeugt sind oder die sie zu dem fraglichen Zeitpunkt benennen. So postuliert beispielsweise eine unter Anthropologen diskutierte Theorie über die Kriegsführung der Yanomamo, sie diene letztlich der Beschaffung der knappen Proteine, indem sie gewährleistet, dass eine ausreichende Zahl von Tieren für die Jagd zur Verfügung steht. Die traditionellen Yanomamo selbst wissen jedoch nicht, was ein Protein ist, und nennen hartnäckig nicht die Verfügbarkeit von Wildtieren, sondern die Frauen als Kriegsmotiv. Selbst wenn also die Theorie von den Proteinen als Grund für die Kriegsführung der Yanomamo zutrifft (was vermutlich nicht der Fall ist), würden wir es niemals von dem Volk selbst erfahren.
Tiefer liegende Faktoren in Erfahrung zu bringen, nach denen man die Betroffenen selbst nicht fragen kann, ist leider viel schwieriger als die Aufklärung der unmittelbaren Motive, die ein Mensch beschreibt. Denken wir nur einmal daran, wie schwierig es war, die letzten Ursachen des Ersten Weltkrieges in Erfahrung zu bringen, und das, obwohl eine ungeheure Fülle einschlägiger Dokumente zur Verfügung stand, auf deren Studium Hunderte von Historikern ihr gesamtes Berufsleben verwendet haben. Wie allgemein bekannt ist, war die unmittelbare Ursache des Ersten Weltkrieges das Attentat auf den Erzherzog und Habsburger-Thronfolger Franz Ferdinand, der am 28 . Juni 1914 von dem serbischen Nationalisten Gavrilo Princip erschossen wurde. Zahlreiche andere Staatsoberhäupter und Thronanwärter wurden aber ermordet, ohne dass es derart schreckliche Folgen gehabt hätte – was sind also letztlich die Gründe, warum gerade dieser Mord den Ersten Weltkrieg auslöste? Zur Beantwortung dieser Frage werden mehrere Theorien diskutiert: das Bündnissystem der Vorkriegszeit, Nationalismus, Gefahren für die Stabilität zweier großer Vielvölkerstaaten (des Habsburger und des Osmanischen Reiches), schwelende Territorialstreitigkeiten über Elsass-Lothringen, die Durchfahrtrechte durch die Dardanellen und die wachsende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands. Wenn wir uns schon über die letzten Ursachen des Ersten Weltkrieges nicht einigen können, sollten wir auch nicht damit rechnen, dass wir ohne weiteres die letzten Ursachen traditioneller Kriege verstehen. Allerdings erfreuen sich Experten, die sich mit der traditionellen Kriegsführung beschäftigen, gegenüber den Fachleuten für die Weltkriege eines großen Vorteils: Sie können eine nahezu unbegrenzte Zahl traditioneller Kriege vergleichen, während es nur zwei Weltkriege
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