Vermächtnis
über die er etwas in Erfahrung bringen konnte, in eine Tabelle eintrug. Er hielt die jeweiligen Opferzahlen fest, unterteilte seine Tabelle aufgrund dieser Zahlen in fünf Untertabellen und untersuchte dann, wann und warum die einzelnen Staaten in den Krieg gezogen waren.
In der Zeit von 1820 bis 1949 waren die einzelnen Staaten sehr unterschiedlich oft in Kriege verwickelt: Für Frankreich und Großbritannien lag die Zahl bei über 20 , in der Schweiz war es nur ein einziger Krieg und in Schweden überhaupt keiner. Die wichtigste Ursache der Schwankungen war schlicht die Zahl der Staaten, mit denen der jeweilige Staat eine gemeinsame Grenze hatte: Je mehr Nachbarn es waren, desto höher lag langfristig auch die durchschnittliche Zahl der Kriege; diese war ungefähr proportional zur Zahl der angrenzenden Staaten. Ob in den Nachbarstaaten dieselbe Sprache gesprochen wurde oder nicht, hatte dagegen kaum Auswirkungen. Diese Gesetzmäßigkeit hatte nur zwei Ausnahmen: Wenn beide Seiten Chinesisch sprachen, fanden zwischen ihnen weniger Kriege statt, sprachen dagegen beide Seiten Spanisch, waren es mehr Kriege, als man statistisch aufgrund der weltweiten Gesamtzahl der Chinesisch oder Spanisch sprechenden Menschen erwartet hätte. Richardson stellte Vermutungen darüber an, welche kulturellen Faktoren möglicherweise dazu geführt hatten, dass Spanisch sprechende Menschen besonders stark und Chinesisch sprechende besonders wenig zu Kriegen neigen. Seine Spekulationen sind faszinierend, aber ich möchte es dem interessierten Leser selbst überlassen, Richardsons Analysen auf den Seiten 223 bis 230 und 240 bis 242 seines 1960 erschienenen Buches
Statistics of Deadly Quarrels
nachzulesen.
Richardson nahm keine statistische Überprüfung der Frage vor, wie sich der Handel zwischen Ländern auf die Kriegswahrscheinlichkeit auswirkt. Da Krieg aber unverhältnismäßig häufig zwischen Nachbarstaaten ausbricht, die auch mit unverhältnismäßig großer Wahrscheinlichkeit Handelspartner sind, würde man damit rechnen, dass zwischen Handelsbeziehungen und Krieg ein Zusammenhang besteht. Zumindest Einzelfallberichte erwecken den Eindruck, dass moderne Staaten, die Handelspartner sind, häufiger gegeneinander kämpfen als solche, die keinen Handel treiben. Wahrscheinlich hat der offenkundige Zusammenhang zwischen Handel und Konflikten seine Ursache gerade darin, dass Handel und Konflikte ihrerseits im Zusammenhang mit der benachbarten Lage stehen; zum Teil dürfte es auch daran liegen, dass Handel häufig zu Meinungsverschiedenheiten führt. In den größten Kriegen der Neuzeit standen Handelspartner sich selbst dann als Feinde gegenüber, wenn die fraglichen Staaten keine Nachbarn waren. Im Zweiten Weltkrieg zum Beispiel waren Japans wichtigste Angriffsziele seine vorrangige Quelle für importierte Waren (die Vereinigten Staaten) und der führende Exportmarkt für seine Produkte (China). Auch Nazideutschland und die Sowjetunion trieben bis zum Vorabend der deutschen Invasion in Russland am 22 . Juni 1941 noch Handel miteinander.
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen über Staaten wollen wir nun die gleichen Fragen für traditionelle Kleingesellschaften stellen. Eine Tabelle aller traditionellen Kriege der jüngeren Zeit, die Richardsons Tabelle der Kriege zwischen modernen Staaten entsprechen würde, steht uns zur Analyse nicht zur Verfügung. Wir müssen uns mit Einzelfallberichten zufriedengeben. Sie legen die Vermutung nahe, dass Kleingesellschaften noch stärker als Staaten gegen ihre Nachbarn kämpfen, denn ihnen fehlt die Fähigkeit zu Ferntransporten, mit deren Hilfe Großbritannien seine Soldaten Mitte des 19 . Jahrhunderts um die halbe Welt entsenden konnte, damit sie in Neuseeland gegen die Maori kämpften. Kaum etwas deutet darauf hin, dass Kleingesellschaften, wenn es um Krieg geht, einen Unterschied zwischen Nachbarn mit der gleichen oder einer anderen Sprache machen. Die meisten traditionellen Kriege spielen sich zwischen Nachbarn ab, welche die gleiche Sprache sprechen, denn dies ist wahrscheinlicher, als dass die Nachbarn sich einer anderen Sprache bedienen. In den Dani-Kriegen, die ich in Kapitel 3 beschrieben habe, sprachen alle Beteiligten die Dani-Sprache. Auf der langen Liste anderer Gesellschaften, die gegen Gesellschaften mit der gleichen Sprache ins Feld zogen, stehen die Enga, Fayu, Fore, Hinihon, Inuit, Mailu, Nuer und Yanomamo; die Reihe könnte man unendlich fortsetzen. Eine partielle Ausnahme
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