Vermächtnis
Jahren vorwiegend an der Küste, das bewaldete Landesinnere war nur dünn besiedelt. Dann begannen einzelne Familien und kleine Gruppen, als Siedler landeinwärts zu ziehen und sich so weit wie möglich voneinander entfernt niederzulassen. Um deutlich zu machen, wie ungern diese Siedler dicht nebeneinander lebten, erzählten finnische Freunde mir eine Geschichte. Ein Mann rodete für sich und seine Familie einen kleinen Bauernhof an einem Fluss und freute sich darüber, dass nichts auf irgendwelche Nachbarn hindeutete. Eines Tages sah er aber zu seinem Entsetzen, wie ein abgesägter Baumstamm den Fluss hinunterschwamm. Weiter stromaufwärts musste also jemand wohnen! Empört marschierte der Mann durch den unberührten Wald den Fluss hinauf, um den Eindringling ausfindig zu machen. Am ersten Tag seiner Wanderschaft traf er niemanden; am zweiten wiederum niemanden. Am dritten Tag schließlich kam er zu einem neu gerodeten Gebiet und traf dort einen anderen Siedler an. Er tötete diesen Siedler und marschierte drei Tage zurück zu seinem Anwesen, erleichtert, dass er noch einmal die Privatsphäre seiner Familie gesichert hatte. Die Geschichte ist zwar wahrscheinlich nicht verbürgt, sie macht aber deutlich, wie soziale Faktoren in Kleingesellschaften zur Beunruhigung wegen entfernter »Nachbarn« führen können, die sich weit außer Sichtweite befinden.
Als weitere letzte Faktoren wurden Vorteile der Kriegsführung genannt, die nicht der sozialen Gruppe, sondern dem Einzelnen zugutekommen. Eine kriegslüsterne Einzelperson oder ein kriegerischer Anführer wird meist gefürchtet und gewinnt mit seinen kriegerischen Leistungen an Prestige. Dies kann sich darin ausdrücken, dass er mehr Ehefrauen für sich gewinnt oder mehr Kinder großzieht. Der Anthropologe Napoleon Chagnon stellte beispielsweise anhand der Stammbäume, die er bei den Yanomamo gesammelt hatte, Berechnungen an und verglich darin Männer, die Menschen getötet hatten, mit solchen, bei denen dies nicht der Fall war; dabei gelangte er zu dem Ergebnis, dass die Mörder im Durchschnitt zweieinhalbmal mehr Frauen und über dreimal mehr Kinder hatten. Natürlich sterben Männer, die andere töten, auch mit größerer Wahrscheinlichkeit in jüngeren Jahren als andere, aber während dieser kürzeren Lebensdauer erringen sie ein höheres Prestige und gesellschaftlichen Lohn, so dass sie sich mehr Frauen beschaffen und mehr Kinder zeugen können. Selbst wenn eine solche Korrelation auf die Yanomamo zutrifft, empfehle ich sie natürlich nicht allen Lesern, und man kann sie auch nicht auf alle traditionellen Gesellschaften verallgemeinern. In manchen Gesellschaften wird die kürzere Lebenserwartung kriegslustiger Männer wahrscheinlich nicht durch die Möglichkeit, in jedem Jahrzehnt des kürzeren Lebens mehr Ehefrauen anzulocken, wettgemacht. Dies gilt zum Beispiel für die Waorani-Indianer in Ecuador, die sogar noch mehr Krieg führen als die Yanomamo. Bei ihnen haben aber eifrige Krieger nicht mehr Frauen als sanftmütigere Männer, und auch die Zahl ihrer Kinder, die bis zum fortpflanzungsfähigen Alter überleben, ist eher niedriger.
Gegen wen kämpfen die Menschen?
Nachdem wir die Frage behandelt haben, warum Kleingesellschaften kämpfen, können wir als Nächstes fragen: Gegen wen kämpfen sie? Ziehen Stämme beispielsweise gegen Stämme, die eine andere Sprache sprechen, häufiger in den Krieg als gegen jene, die ihre eigene Sprache benutzen? Kämpfen sie oder vermeiden sie den Kampf mit Stämmen, mit denen sie durch Handel oder Eheschließungen verbunden sind?
Solche Fragen können wir in einen vertrauteren Kontext stellen, indem wir sie zunächst im Zusammenhang mit modernen Staaten und ihren Kriegen betrachten. Der angesehene britische Meteorologe Lewis Richardson, der sich im Rahmen seiner offiziellen Berufslaufbahn auf die mathematische Analyse komplexer Muster der Winde in der Atmosphäre konzentrierte, arbeitete während des Ersten Weltkrieges zwei Jahre bei einem Krankenwagenkonvoi, der kranke und verwundete Soldaten transportierte. Während des Krieges kamen zwei der drei Brüder seiner Ehefrau ums Leben. Angeregt möglicherweise durch diese Erlebnisse und seine eigene Herkunft aus einer Quäkerfamilie, machte Richardson eine zweite Karriere mit der mathematischen Analyse von Kriegsursachen; daraus, so hoffte er, könne man Lehren über die Vermeidung von Kriegen ziehen. Seine Methode bestand darin, dass er alle Kriege zwischen 1820 und 1949 ,
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