Vermählt mit einem Fremden
nichts hervorbrachte als: „Gib auf dich acht.“
„Ja, sicher.“ Ein flüchtiges Lächeln. „Weißt du, während ich fort bin, mach dir doch das Vergnügen und kauf dir ein paar neue Kleider.“
Harriette sank in ihren Stuhl zurück und lauschte Lukes sich eilig entfernenden Schritten. Fort war er! Seltsam, dass der Schmerz sie fast ersticken konnte. Wie sehr er ihr fehlen würde! Aber sie musste wohl akzeptieren, dass er nicht ebenso fühlte. Sein einziger Gedanke war gewesen, dass sie ihre Garderobe vervollständigen könnte!
Zutiefst betrübt stand sie auf und verließ den Frühstücksraum. Gerade wollte sie die Halle durchqueren, als sie einen der Lakaien – Charles? – mit einem schweren Tablett beladen die Treppe hinaufsteigen sah.
„Charles? Wohin wollen Sie damit?“, fragte sie irritiert.
Erschreckt fuhr der junge Mann herum, sodass das Porzellan auf dem Tablett leise klirrte. „Frühstück, Mylady.“
„Das sehe ich“, entgegnete sie freundlich. „Aber für wen ist das? Haben wir Gäste?“ Würde Luke ihr das nicht gesagt haben?
„Äh … für Lord Adam, Mylady.“
„Dann lassen Sie sich nicht aufhalten.“ Doch sie glaubte ihm nicht. Soweit sie wusste, pflegte Adam nie in seinem Zimmer zu frühstücken.
Sichtlich erleichtert nahm Charles seinen Weg wieder auf. Nachdenklich schaute sie ihm hinterher, dann folgte sie ihm unauffällig. Oben auf dem Gang schlüpfte sie in das erste Zimmer und spähte durch den Türspalt, sodass sie sehen konnte, wo das Tablett abgeliefert wurde.
Kaum war Charles wieder nach unten verschwunden, begab sie sich zu dem entsprechenden Raum und trat forsch ein.
Wer mehr staunte, konnte sie kaum sagen.
„Madame …“ Ein junger Mann, der an einem Tisch im Erker saß, bereit, sich über die Speisen auf dem Tablett herzumachen, sprang hastig auf.
„Wer sind Sie?“, fragte Harriette verdutzt.
„Ich …“ Er brach ab.
„Dies ist mein Haus, und Sie befinden sich ohne mein Wissen in einem meiner Gästezimmer, vor Ihnen steht ein Frühstück aus meiner Küche, Sir. Wer also sind Sie? Und was machen Sie hier?“
„Madame … je m’appelle …“ , stotterte er und riss bekümmert die Augen auf. „Mein Name ist Henri“, fuhr er auf Englisch fort, doch mit schwerem Akzent. „ Capitaine Henri.“
Die offensichtlich französische Herkunft des Mannes verstärkte Harriettes schon geweckten Verdacht. „Wir können uns in Ihrer Sprache unterhalten, Sir, es wird leichter für Sie sein. Meine Mutter war Französin.“
„Ah, Madame … danke.“ Sichtlich erleichtert verfiel er in seine Muttersprache. „Aber es wäre klüger, wenn ich schwiege.“
„Warum denn? Vielleicht sollte ich mich vorstellen. Ich bin die Countess of Venmore.“
Der junge Mann vollführte eine elegante Verbeugung. „Madame la Comtesse. Enchanté . “
Unbeeindruckt von seinen ausgezeichneten Manieren, verlangte sie zu wissen: „Was tun Sie hier?“
„Ich warte auf Monsieur Lucius’ Rückkehr. Mehr darf ich nicht sagen.“
„Warum nicht?“
„Es wäre zu gefährlich. Niemand darf von meiner Anwesenheit erfahren.“
„Gefährlich für Sie oder für meinen Gemahl?“
„Für beide, denke ich, Madame .“
„Aber noch einmal: Wer sind Sie, Captain Henri?“
Flehend schüttelte der Mann den Kopf.
Abschätzend betrachtete Harriette ihren Gast. Kaum älter als zwanzig, mager, mit hohlen Wangen und gehetzter Miene. Seine Kleidung war von guter Qualität, jedoch viel zu groß, als gehörte sie ihm nicht. Auch merkte sie, dass er ein wenig unbeholfen dastand. Möglicherweise behinderte ihn eine Verwundung, doch insgesamt sprach seine Haltung von Stolz, von einer angeborenen Würde.
„Sind Sie ein Kriegsgefangener?“
Wieder verneigte er sich formvollendet. „Ja, leider. Sinnlos, es zu leugnen. Aber mehr darf ich nicht sagen; nur Danke für Ihre Gastfreundschaft, Madame la Comtesse – und ich bitte um Vergebung für mein Schweigen … die Umstände …“
Unwillig, doch auch etwas verunsichert, fragte sie: „Weiß der Earl of Venmore von Ihrer Anwesenheit?“
„Monsieur Lucius? Ja, Madame .“
Und was hatte Luke mit einem Kriegsgefangenen zu schaffen? Wieder schossen ihr die schrecklichen Worte Spionage und Verrat durch den Kopf. Oft gelang es französischen Gefangenen, zu fliehen und neueste Nachrichten über den Kanal zu Napoleons Truppen durchzuschmuggeln. Was hatte ihr Gemahl damit zu tun?
Dazuschwieg Captain Henri allerdings; er fragte nur ein wenig bang:
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