Vermählung um Mitternacht
ihr ja wohl auch erwarten.
Wütend riss er den Schrank auf, zog ein Hemd heraus und warf es aufs Bett. Wie konnte sie einfach so aufstehen und ohne ein Wort ausgehen? Etwas so Herzloses hatte er von seiner großzügigen, liebenswürdigen Gattin nicht erwartet. Und das, wo er ihr beim Aufwachen doch eigentlich neue Freuden hatte bescheren wollen!
Alec goss Wasser in die Schüssel und wusch sich das Gesicht. Als er nach dem Handtuch griff, erblickte er plötzlich sein Spiegelbild. Zum ersten Mal seit vielen Wochen zeigte sich in seinen Augen keine Erschöpfung. Er rieb sich über das stoppelige Kinn und erinnerte sich sofort daran, wie Julias Lippen auf den seinen gelegen hatten, wie sich ihre Arme um seinen Hals, ihre Beine um seine Hüften geschlungen hatten.
Nackt sah sie aus wie eine Waldfee: schlank und zart, mit kleinen Brüsten. Sie war eine Sirene, die tagsüber in den Kleidern der Rechtschaffenen auftrat und sich durch eine gesetzte Brille und sittsames Betragen schützte. Doch nachts verwandelte sie sich in eine Wildkatze, gab sich verspielt und verführerisch - und war schöner und lebendiger als alle Frauen, die er je gekannt hatte.
Mrs. Winstons Stimme drang durch die geschlossene Tür. »Himmel! Jemand hat das Zimmer der Herrin verwüstet! Die Laken sind ja vom Bett gerissen.«
»Seine Lordschaft hat nicht in seinem Zimmer geschlafen«, erklärte Chilton schmunzelnd.
»Na, das wurde ja auch Zeit.« Mrs. Winstons Gekicher zerrte an Alecs bloßliegenden Nerven. »Wahrhaftig, ich habe schon befürchtet, Sie müssten einmal mit ihm über seine ehelichen Pflichten sprechen.«
Das Gekicher der Haushälterin war ihm schon auf die Nerven gegangen, doch dass sein Kammerdiener nun ebenfalls zu gackern anfing, gab ihm den Rest. Er würde sich doch nicht in seinem eigenen Haus verlachen lassen!
Er stürmte zur Tür und riss sie auf. »Wenn Sie beide jetzt genug getratscht haben, würden Sie vielleicht die Güte haben, sich um mein Frühstück zu kümmern! «
Zwei erstaunte Augenpaare richteten sich auf ihn, aber nicht auf sein strenges Gesicht. Stattdessen guckten sie auf seine Hüften, wo sich Julias Morgenmantel immer noch in rüschenreicher Pracht bauschte. Die Röte stieg ihm ins Gesicht.
»Mylord«, sagte Chilton und trat mit besorgt bebenden Nasenflügeln vor. »Ich komme sofort und kümmere mich um Ihre Kleidung.«
»Nein«, erwiderte Alec abrupt. Das Letzte, was er jetzt brauchen konnte, war Chiltons Geschwätz.
»Aber, Sir, ich...«
»Ich brauche beim Ankleiden keine Hilfe.«
Mrs. Winston entgegnete jedoch mit einem verstohlenen Grinsen: »Das vielleicht nicht, Mylord, aber Chilton könnte wenigstens die Falten aus diesem Ding da herausbügeln.«
Einen Moment sah es so aus, als wollte Chilton in wüstes Gekicher ausbrechen. Das war mehr, als Alec ertragen konnte. Mit rotem Gesicht zog er sich in sein Zimmer zurück und knallte die Tür zu. Niemand sollte um diese frühe Morgenstunde einer Rotte fröhlicher, impertinenter Dienstboten gegenübertreten müssen.
Er löste den Morgenrock, warf ihn auf den Boden und kickte ihn dann noch unters Bett. Himmel, was war nur mit ihm los? Er konnte gar nicht mehr klar denken. Vor Ärger brannte ihm der Magen, doch er ahnte, dass er von seinem Frühstück keinen Bissen hinunterbringen würde. Er zerrte ein Paar Breeches aus dem Schrank und zog sie an.
Gerade als er den Arm in sein Hemd stieß, kam ihm plötzlich ein Gedanke. Was, wenn Julia die Vereinigung doch nicht aufgegeben hatte? Nur der Herrgott wusste, welche Marotte sie sich wieder in den Kopf gesetzt hatte, während er friedlich neben ihr schlief. Nicht auszudenken!
Alec versuchte, sich ins Gedächtnis zu rufen, was genau sie über die Vereinigung gesagt hatte, doch es gelang ihm nicht. Seine Erinnerungen an die letzte Nacht waren eher wortloser Natur, befassten sich eher mit ihrem seidigen Haar, ihrer glatten Haut, ihrem verführerischen Geruch.
Er zog das Hemd zurecht und knöpfte es zu. Nur um sicherzugehen, dass Julia wusste, was sie zu tun hatte, beschloss er, selbst bei der Vereinigung vorbeizuschauen. Und wenn sie es nicht wusste? Alec machte ein finsteres Gesicht. Damit würde er sich befassen, wenn es soweit war.
Nun wirklich in Eile, streifte er die Stiefel über und schlüpfte in seinen Rock. Dann eilte er die Treppe hinunter und ließ die Kutsche Vorfahren.
Julia kannte die Elendsquartiere und schmutzigen Straßen von Whitechapel zu gut, um sich noch als unschuldige junge Frau zu
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